Rezension
[1]Franz Mehring: Schiller. Ein Lebensbild für deutsche Arbeiter, Leipzig 1905, 119 Seiten.
„Ein Lebensbild“ hat Mehring seine Schillerbroschüre genannt, und das ist sie im wahren Sinne des Wortes. Nicht eine Biographie, eine landläufige chronologische Sammlung von Daten aus einem Leben, sondern ein wirkliches Bild, ein plastisches, harmonisches Gemälde, das durch die klare Zeichnung und eine außerordentlich feine Abtönung von Anfang bis zu Ende einen hohen, rein ästhetischen Genuß bereitet.
Die Studie Mehrings erscheint gerade zur rechten Zeit wie eine hochwillkommene Gabe an die deutsche Arbeiterschaft, um ihr ein von bürgerlich-tendenziöser und andererseits auch von parteitendenziöser Verzerrung freies Bild des großen Dichters zu liefern. Schillers Dichtung ist nicht bloß zum ehernen Bestandteil der deutschen klassischen Literatur, sondern auch zum geistigen Hausschatz speziell des aufgeklärten kämpfenden Proletariats geworden, die Worte und Sprüche, die er geprägt, wurden zur Form, in der die deutsche Arbeiterschaft mit Vorliebe ihre revolutionären Gedanken und ihren Idealismus zum schwungvollen Ausdruck bringt. Die Verbreitung der Schillerschen Poesie in den proletarischen Schichten Deutschlands hat zweifellos zu ihrer geistigen Hebung und auch zur Revolutionierung beigetragen, insofern also gewissermaßen ihr Teil an dem Emanzipationswerk der Arbeiterklasse gehabt.
Allein, es unterliegt keinem Zweifel, daß Schillers Rolle in dem geistigen Wachstum des revolutionären Proletariats in Deutschland nicht sowohl darin wurzelt, was Schiller mit dem Gehalt seiner Dichtungen in den Emanzipationskampf der Arbeiterschaft hineintrug, als umgekehrt darin,