Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 119

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-2/seite/119

Der Parteitag und die Budgetbewilligung

[1]

I

Dem kommenden Parteitag in Lübeck[2] fällt die wichtige Aufgabe zu, die vor sieben Jahren in Frankfurt[3] angeschnittene und formell offengebliebene Frage der Budgetabstimmung in den Landtagen zur endgültigen Lösung zu bringen.

Nicht nur ist seit 1894 die Frage brennender, weil die Budgetbewilligungen durch sozialdemokratische Abgeordnete in Süddeutschland häufiger geworden. Auch die Lösung selbst ist zugleich leichter, weil die Unvereinbarkeit der Budgetbewilligung mit den Grundsätzen der Partei heute durch die gemachten Experimente viel klarer an den Tag gelegt worden ist, als es die überzeugendsten Ausführungen von Bebel und Auer vor sieben Jahren zu tun vermocht hatten. Namentlich ist in dieser Beziehung das badische Experiment unschätzbar.

Wenn die Anhänger der Budgetbewilligung von Anfang an die Frage nicht unter dem Gesichtspunkt des Prinzips, sondern unter dem der Taktik betrachtet wissen wollten, so konnte dies offenbar nur den einen Sinn haben: Sie wollten sich für eventuelle Ausnahmefälle freie Hand lassen, wo ihnen eine besondere politische Konstellation die Annahme des Budgets gebieten würde. Stadthagen, dessen Amendement in Frankfurt in der Bebelschen Resolution ein Hintertürchen durchbrechen wollte[4], hatte im

Nächste Seite »



[1] Siehe auch Neue Zeit, Nr. 27. [Fußnote im Original] [Siehe Rosa Luxemburg: Die badische Budgetabstimmung. In: GW, Bd. 1/2, S. 77–85.]

[2] Der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie in Lübeck fand vom 22. bis 28. September 1901 statt.

[3] Der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie in Frankfurt (Main) fand vom 21. bis 27. Oktober 1894 statt.

[4] Im Resolutionsentwurf August Bebels war die Zustimmung zum Budget als ein Vertrauensvotum für die bürgerliche Regierung des Klassenstaates charakterisiert und festgelegt worden, daß die sozialdemokratischen Vertreter in den Parlamenten gegen das Budget zu stimmen hatten. Ein Vorschlag Arthur Stadthagens zur Abänderung des entscheidenden Satzes in diesem Entwurf sollte die eindeutige Festlegung verwässern und die Möglichkeit offenlassen, unter bestimmten Bedingungen dem Budget zuzustimmen. Das Amendement Stadthagens wurde vom Parteitag mit 131 gegen 103 Stimmen angenommen, die abgeänderte Resolution Bebels aber mit 164 gegen 64 Stimmen abgelehnt.