Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 240

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III Gewalt und Gesetzmäßigkeit

Trotzdem bereits so viel in der letzten Zeit von der endgültigen Unbrauchbarkeit der „revolutionären Mittel alten Stils“ geredet wurde, so ist es bis jetzt nie klar ausgesprochen worden, was man eigentlich unter diesen Mitteln versteht und womit man sie ersetzen will.

Gewöhnlich, so auch aus Anlaß der belgischen Niederlage, pflegt man den „revolutionären Mitteln“, das heißt in der Hauptsache der gewaltsamen Straßenrevolution, die alltägliche Organisation und Aufklärung der Arbeitermassen entgegenzustellen. Ein solches Verfahren ist jedoch aus dem einfachen Grunde verfehlt, weil Organisation und Aufklärung an sich noch kein Kampf, sondern bloß Vorbereitungsmittel zum Kampfe und als solche sowohl für eine Revolution wie für jede andere Form des Kampfes notwendig sind. Organisation und Aufklärung machen an sich noch ebensowenig den politischen Kampf überflüssig, wie die Bildung von Gewerkschaften und Sammlung von Beiträgen die Lohnkämpfe und Streiks überflüssig machen. Was man in Wirklichkeit einander entgegenstellt, indem man im Gegensatz zu „revolutionären Mitteln“ die Vorzüge der Organisation und Aufklärung anpreist, ist: einerseits gewaltsame Revolution, andererseits gesetzliche Reform, Parlamentarismus. „Es ist möglich, aus dem Kapitalismus zum Kommunismus durch eine Reihe sozialer Formen, rechtlicher und wirtschaftlicher Einrichtungen überzugehen, und deshalb ist es unsere Pflicht, vor dem Parlament diese logische Progression zu entwickeln.“ In diesen Worten Jaurèsʼ (Petite République vom 11. Februar 1902) ist die obige Auffassung klar und deutlich formuliert, ebenso wie in der anderen Erklärung von ihm, „die einzige Methode, die dem Proletariat bleibt, sei diejenige der gesetzlichen Organisation und gesetzlichen Aktion“. (Petite République vom 15. Februar 1902.)

Es ist für die Klärung der Frage äußerst wichtig, dies von vornherein festzuhalten, um alle Selbstverständlichkeiten über den Nutzen der Organisation und die Aufklärung der Massen aus dem Diskussionsfeld zu räumen und die Auseinandersetzung auf den einzigen wirklichen Streitpunkt zu konzentrieren.

Was uns vor allem an dem festen Entschluß, jeden Gebrauch der Gewalt im proletarischen Kampf durch die parlamentarische Aktion zu ersetzen, merkwürdig erscheint, ist die Vorstellung von einer willkürlichen Revolutionsmacherei. Nach dieser Auffassung werden Revolutionen offenbar, je nachdem sie als nützlich oder als überflüssig und schädlich er-

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