Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 241

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kannt sind, gemacht oder unterlassen, vorbereitet oder ad acta gelegt, und es kommt nur darauf an, welche Überzeugung jetzt in der Sozialdemokratie die Oberhand gewinnt, damit Revolutionen in kapitalistischen Ländern fernerhin zustande kommen oder nicht. Sosehr jedoch die legalistische Theorie des Sozialismus die Macht der Arbeiterpartei in anderen Stücken unterschätzt, sosehr überschätzt sie sie in diesem Punkte.

Die Geschichte aller bisherigen Revolutionen zeigt uns, daß gewaltsame Volksbewegungen, weit entfernt, ein willkürliches, bewußtes Produkt der sogenannten „Führer“ oder der „Parteien“ zu sein, wie sich der Polizist und der offizielle bürgerliche Historiker einbildet, vielmehr ganz elementare, mit Naturgewalt sich durchsetzende soziale Phänomene sind, die ihre Quelle in dem Klassencharakter der modernen Gesellschaft haben. An dieser Sachlage hat sich zunächst durch das Aufkommen der Sozialdemokratie noch nichts geändert, und auch ihre Rolle besteht nicht darin, der geschichtlichen Entwicklung des Klassenkampfes Gesetze vorzuschreiben, sondern umgekehrt darin, sich ihren Gesetzen und dadurch diese sich dienstbar zu machen. Wollte sich die Sozialdemokratie proletarischen Revolutionen widersetzen, falls diese eine geschichtliche Notwendigkeit sind, so wäre das einzige Ergebnis dies, daß die Sozialdemokratie sich aus einer Führerin in eine Nachläuferin oder in ein ohnmächtiges Hindernis des Klassenkampfes verwandeln würde, der sich schließlich wohl oder übel ohne sie und gegen sie im gegebenen Augenblick durchsetzen müßte.

Es genügt, sich diese einfachen Tatsachen zu vergegenwärtigen, um einzusehen, daß die Frage: Revolution oder rein gesetzlicher Übergang zum Sozialismus? nicht eine Frage der sozialdemokratischen Taktik, sondern vor allem eine Frage der geschichtlichen Entwicklung ist. Mit anderen Worten: Indem unsere Opportunisten die Revolution aus dem proletarischen Klassenkampf eliminieren, dekretieren sie damit zugleich nicht mehr und nicht weniger, als daß die Gewalt aufgehört hat, ein Faktor der modernen Geschichte zu sein.

Dies der theoretische Kern der Frage. Man braucht die obige Ansicht nur zu formulieren, damit ihr Wahnwitz in die Augen springt. Die Gewalt hat nicht nur mit dem Aufkommen der bürgerlichen „Gesetzmäßigkeit“, des Parlamentarismus, nicht aufgehört, eine geschichtliche Rolle zu spielen, sondern sie ist heute genausogut wie in allen früheren Epochen die Basis der bestehenden politischen Ordnung. Der ganze kapitalistische Staat beruht auf der Gewalt, und seine militärische Organisation ist an sich ein genügender, faustdicker Beweis dafür, den zu übersehen ein

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