Martinique
[1]Leipzig, 15. Mai
Berge rauchender Trümmer, Haufen verstümmelter Leichen, ein dampfendes und qualmendes Feuermeer ringsumher, Schlamm und Asche – das ist alles, was von dem blühenden Städtchen geblieben, das wie eine flatternde Schwalbe am Felsen des Vulkans lehnte. Der zornige Riese grollte offenbar schon lange über dieser Menschen Übermut, über das blinde Selbstbewußtsein der zweibeinigen Zwerge. Großmütig sogar im Zorn, ein echter Riese, warnte er die wahnwitzigen Geschöpfe, die an seinem Fuße krabbelten. Er rauchte, spie feurige Wolken aus, in seinem Schoß kochte es und brodelte und knallte wie Gewehrsalven und Kanonendonner. Aber die irdische Obrigkeit, die über den menschlichen Geschicken waltet, blieb unerschüttert in dem Glauben – an die eigene Weisheit. Am 7. erklärte die von der Regierung entsandte Kommission dem angsterfüllten Volke von St Pierre, alles sei in Ordnung im Himmel und auf Erden. Alles in Ordnung, kein Grund zu Befürchtungen! – so hieß es auch am Vorabend jenes Ballhausschwurs am tanzfrohen Hofe des sechzehnten Ludwig, während im Krater des Revolutionsvulkans sich feurige Lava zum furchtbaren Ausbruche sammelte. Alles in Ordnung, die Ruhe herrscht überall! – hieß es in Wien und Berlin am Vorabend der Märzeruption vor fünfzig Jahren. Der alte beleidigte Titan auf Martinique kehrte sich nicht an die Berichte der löblichen Kommission; nachdem am 7. das Volk vom Gouverneur beruhigt wurde, brach er am 8. früh aus und begrub in wenigen Minuten den Gouverneur, die Kommission, das Volk, Häuser, Straßen und Schiffe unter dem feurigen Auswurf seiner zornglühenden Brust.
Es war gründliche Arbeit. Vierzigtausend Menschenleben niedergemäht,
[1] Dieser Artikel ist nicht gezeichnet. Er wurde in die von Clara Zetkin und Adolf Warski herausgegebenen und von Paul Frölich bearbeiteten „Gesammelten Werke“ Rosa Luxemburgs aufgenommen.