Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 537

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Im Feuerscheine der Revolution

Die Maifeier wird in diesem Jahre zum erstenmal in einer revolutionären Situation gefeiert – während ein wichtiger Trupp des internationalen Proletariats in einem gewaltigen direkten Massenkampfe um seine politischen Rechte begriffen ist. Dieser Umstand soll und wird der diesjährigen Maifeier ihren besonderen Charakter aufdrücken. Nicht bloß in dem Sinne, daß überall in den Vorträgen und Resolutionen der Maiversammlungen der kämpfenden Proletarier im Zarenreiche mit einigen Worten der Sympathie gedacht wird. Die gegenwärtige russische Revolution ist, wenn sie nicht bloß mit oberflächlichen Sympathiegefühlen, sondern mit ernstem Nachdenken betrachtet wird, die eigene Sache des internationalen Proletariats, und ganz speziell ist sie mit dem wirklichen Sinn der internationalen Maifeier verbunden; sie ist eine wichtige Etappe zur Verwirklichung der beiden Grundideen der Maifeier: des Achtstundentags und des Sozialismus.

Der Achtstundentag ist von Anfang an zu einer Hauptlosung der gegenwärtigen revolutionären Erhebung im russischen Reiche geworden. Die von der Petersburger Arbeiterschaft in der berühmten Bittschrift[1] an den Zaren formulierten Forderungen zählen neben politischen Grundrechten und Freiheiten in erster Reihe die sofortige Einführung des Achtstundentages auf. In dem grandiosen Generalstreik, der im Anschluß an das Petersburger Blutbad im ganzen Reiche, besonders in Russisch-Polen, ausbrach, war der Achtstundentag die wichtigste soziale Forderung. Auch in dem späteren, zweiten Stadium der Streikbewegung, als der allgemeine Ausstand als politische Kundgebung vorläufig beendet wurde, um einer langen Reihe partieller ökonomischer Streiks Platz zu machen, auch hier


[1] Siehe S. 479, Fußnote 1.

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