Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 275

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Zur Frage des Terrorismus in Rußland

[1]

I

Leipzig, 27. August

Die „Leipziger Volkszeitung“ hat in ihrer Montagsnummer das von der russischen Terroristengruppe aus Anlaß des Attentats auf den Charkower Gouverneur, Fürsten Obolenski, veröffentlichte Dokument zur Information der Leser mitgeteilt[2], wir können aber nicht umhin, zu bemerken, daß dieses Dokument sowie das bereits vor einiger Zeit gleichfalls von uns abgedruckte Manifest über die Konstituierung der terroristischen Organisation in uns mancherlei Bedenken hervorgerufen hat.

Sowenig es uns möglich ist, von Deutschland aus über die Einzelheiten der Parteitaktik unserer russischen Genossen mit voller Sicherheit ein Urteil zu fällen, sosehr liegt es andererseits in unserem Interesse, die Bahnen, welche die nun erwachte revolutionäre Bewegung im Zarenreiche wandelt, aufmerksam zu beobachten und uns über ihre jeweiligen Aussichten klare Rechenschaft abzulegen. Seit in letzten Jahren aus dem politischen „Ewigschneefeld“ des Zarenreiches ein warmer Frühlingswind zu wehen begann, seit das scheinbar Undenkbare zur Wirklichkeit geworden und eine revolutionäre Massenerhebung des arbeitenden Volkes die jahrhundertalte schwere Eisdecke des Absolutismus von unten aus zu sprengen unternahm, belebten sich von neuem die Hoffnungen aller Freiheitsfreunde in Westeuropa, d. h., genauer gesprochen, aller sozialistischen Parteien. Man faßte

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[1] Dieser Artikel ist nicht gezeichnet. Aus einem Brief Rosa Luxemburgs vom 27. April 1904 an Kurt Eisner geht hervor, daß sie die Verfasserin ist. (Siehe GW, Bd. 2, Berlin 1999, S. 56.)

[2] Am 11. August 1902 war auf den Gouverneur I. M. Obolenski ein Attentat verübt worden. Die „Leipziger Volkszeitung“ veröffentlichte das Dokument der Terroristen am 25. August 1902 unter dem Titel „Eine Urteilsvollstreckung des Terrorismus“.