Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 150

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spiel die von der Art und Weise, wie Lassalle sich im Jahre 1857 die Übersiedlung von Düsseldorf nach Berlin erwirkt habe, finden in den Briefen Lassalles an Marx eine direkte und vollkommene Widerlegung. Das ganze psychologisch-politische Charakterbild Lassalles, das Bernstein gezeichnet hat, erscheint neben dem, welches uns aus dem hellen Spiegel seines geistigen Verkehrs mit Marx entgegenleuchtet, wie ein Zerrbild, wie eine Fratze. Statt des „grenzenlosen Selbstvertrauens“, der „Eitelkeit“, des „Triebes, jedermann durch außergewöhnliche Leistungen zu verblüffen“, des Mangels an „gutem Geschmack und moralischem Unterscheidungsvermögen“, der „Fäulnis“, von der angesteckt Lassalle aus der „Pfütze“ der Hatzfeldtschen Prozesse herauskam, des „Zynismus“ und welches sonst das duftende Bouquet von Eigenschaften ist, mit denen Bernstein seinen Lassalle – nebst der Syphilis – ausgestattet hat, sehen wir hier das lebensgroße Porträt eines großzügigen, kristallklaren, in der Freundschaft wie in dem Drang nach Erkenntnis, in stoischer Verachtung für eigne Leiden wie in tiefem Interesse für die Schicksale andrer echt antiken Charakters. Wie Lassalle den bürgerlichen Salonlöwinnen und -löwen in seinen Briefen erschien oder erscheinen wollte, was es mit dem von ihm einer Dönniges versprochenen Triumphzug mit sechs grauen Schimmeln u. dgl. Märchen auf sich habe, mag für seine bürgerlichen Biographen von höchster Bedeutung sein. Dem sozialistischen Proletariat wird Ferdinand Lassalle als Sozialist, als Denker, Revolutionär und Mensch erst durch die Mehringsche Veröffentlichung seiner Briefe an Marx wiedergegeben.

II

Wir haben uns bis jetzt im allgemeinen gewöhnt, uns Lassalle nur auf sich selbst gestellt, in seinem Gegensatz zu Marx, Engels und ihrer Gruppe vorzustellen. Der herrschende Zug in dem vorliegenden Buche – und das macht seine besondere Bedeutung aus – ist im Gegenteil die Übereinstimmung und der politisch-geistige Zusammenhang mit den Schöpfern des Kommunistischen Manifestes. Bei seiner gänzlichen Selbständigkeit des Denkens erscheint uns Lassalle in seinem Briefwechsel mit Marx vor allem als der „letzte Mohikaner“, wie er sich selbst nannte, der revolutionären Schar der 40er Jahre in Deutschland, in lebendigster und ununterbrochener Fühlung mit den Londoner Flüchtlingen und in ständiger revolutionärer Wachsamkeit und Kampfbereitschaft. Obwohl er wahrscheinlich auch der jetzt modernen sozialistischen „Selbstkritik“ vom leisesten Verdacht des

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