Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 528

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Eine Probe aufs Exempel

Der jüngste und immer noch andauernde Generalstreik in Rußland ist seinem Umfang und seiner Dauer nach das gewaltigste Beispiel dieser Kampfweise, das je gesehen worden ist. Es gibt förmlich nicht eine Industriestadt des Riesenreichs, in der nicht die gesamte Arbeiterschaft oder wenigstens diejenige einiger wichtigeren Zweige die Arbeit niedergelegt hätte, und in vielen Gegenden, so z. B. in Lodz, in dem Dabrowaer Kohlenrevier in Polen, dauerte der Streik mehrere Wochen. Von der Industrie hat der Streik auf die Verkehrszweige, Handelszweige, Banken übergegriffen. Täglich kommen, namentlich aus Polen, Nachrichten über neue Branchen des wirtschaftlichen Lebens, die von dem Streikfieber ergriffen werden: sogar Versicherungsanstalten, Apotheken, photographische Ateliers stehen im Streik. Und in manchen Städten, in Moskau, Petersburg und Warschau, drohen selbst die Polizeimannschaften mit dem Streik. Gleichzeitig spielt diese Riesenbewegung in allen Nuancen von reiner politisch-revolutionärer Demonstration bis zu reiner wirtschaftlicher Lohnbewegung, wobei jedoch die politische Forderung der Freiheit und der Achtstundentag, also die wichtigste sozialökonomische Forderung, den Grundton abgeben.

In diesen Dimensionen und der Mannigfaltigkeit der mitspielenden Momente bietet die jetzige Bewegung in Rußland eine wahre Fundgrube für das Studium der Natur und der politischen Bedeutung des Generalstreiks.

Am gründlichsten räumen die Erfahrungen der jüngsten Tage mit jener pedantisch-mechanischen Auffassungsweise auf, wonach der Generalstreik gewissermaßen wie ein Reiseunternehmen zu Urgroßmutters Zeiten behandelt wird, zu dem man schon Jahre vorher die Reiseroute bis ins klein-

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