deutsch-liberalen Winkelkonsulenten des bedrückten Despotismus und daß sie den gefährlichen revolutionären Inhalt der demütigen Sprache des Petersburger Proletariats viel rascher erfaßten als selbst mancher westeuropäische Sozialdemokrat, indem sie sich entschlossen, gleich auf den ersten Schritt des proletarischen Bittganges mit dem letzten Trumpf der Despotie zu antworten.
Wollten die lieben Vettern und Amtskollegen Nikolaus’ aus den jüngsten Ereignissen etwas lernen, dann wäre es das erste, daß sie nicht streikende und nüchtern, offen kämpfende, wohl aber solche Arbeiter mit „der schwersten Strafe bis zum Zuchthaus“ bedrohen sollten, die sich anmaßen, den Glauben an den „guten, irregeleiteten Fürsten“ unter dem Volke zu hegen und zu verbreiten. Aus solchen ketzerischen Irrlehren entstehen dann im geeigneten Augenblick die gefährlichen Einfälle der Volksmasse, den Landesvater von Angesicht zu Angesicht zu informieren und ihn um verschiedenes zu „bitten“, was man ebenso ungern gewährt wie das Abschlagen des eigenen Kopfes.
Und wir selbst können unter den vielen Lehren, die sich aus der russischen Revolution ergeben, wieder einmal an dem Petersburger Beispiel lernen, in den revolutionären Massenbewegungen den Inhalt aus der oft widerspruchsvollen äußeren Form herauszufühlen, statt sie miteinander zu verwechseln. Sollte irgendwo einmal das Proletariat auf die Idee verfallen, spontan vor die verehrten gesetzgebenden Versammlungen und die Regierungsgebäude mit dem feierlichen Entschluß zu ziehen, die großmütige Übergabe des politischen Staatssteuers von den herrschenden Klassen an die Arbeitermassen höflichst erbitten, andernfalls aber, wie die Petersburger Arbeiter, „lieber sterben zu wollen“, und sei es mit dem Pfarrer Naumann[1] selbst an der Spitze, dann können wir ruhig für die Zwingburgen der kapitalistischen Lohnsklaverei schon jene Plakate anfertigen lassen, die auf dem Platze der erstürmten Bastille prangten: „Hier wird getanzt.“
Die Neue Zeit (Stuttgart),
23. Jg. 1904/05, Erster Band, S. 711–714.