Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 144

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-2/seite/144

III Rede über die Beziehungen der deutschen Sozialdemokratie zur polnischen Partei

[1]

Nun haben wir wieder die schönste Polendebatte, aber wir sind nicht schuld daran, wenn wir wieder mit diesen unerquicklichen Dingen traktiert werden. Die Debatte ist angefangen durch Ledebour, der sich gewiß durch das Gefühl der Gerechtigkeit und des Mitleids mit allen Unterdrückten leiten ließ, ein Gefühl, das leider in diesem Fall durch die Kenntnis der einschlägigen Verhältnisse nicht getrübt wird. Ich kann Sie beruhigen, wenn jemand von Ihnen so wie Ledebour in Konflikt mit seinem Gewissen geraten sollte, eine polnische Frage als solche existiert für uns glücklicherweise nicht mehr, wir sind im reinen und können über die Resolution Ledebour[2] zur Tagesordnung übergehen. Es versteht sich von selbst, daß die deutsche Sozialdemokratie auch gegenüber den Polen dem Prinzip der internationalen Solidarität und der Gleichheit der Nationen und Geschlechter treu bleiben muß und auch treu geblieben ist. Wenn es zu Unzuträglichkeiten, zu unangenehmen Konflikten innerhalb der polnisch-sozialistischen Organisation Deutschlands[3] gekommen ist, so handelt es sich nicht um einen Konflikt zwischen Deutschen und Polen, sondern um einen zwischen polnischen Sozialdemokraten, die auf internationalem Boden stehen, und solchen, die auf nationalem Boden stehen. Diese polnischen Sozialisten haben auf ihrem letzten Parteitag[4] ausdrücklich erklärt, sie schneiden das Tischtuch zwischen sich und unserer Partei durch. („Sehr richtig!“) Auch wir schützen natürlich die unterdrückten Polen; ich fahre am Mittwoch von hier direkt nach Posen, um mich wegen Beleidigung des preußischen Kultusministers Studt zu verantworten, die ich verübt haben soll in einer Broschüre mit dem Titel „Zur Verteidigung der polnischen Nationalität“[5]. Also Sie sehen, wir wollen die polnische Nation schützen, so wie wir das überhaupt können, durch mündliche und schriftliche Agitation. Wer war es denn, der auf dem Mainzer Parteitag[6] beantragt hat, die Reichstagsfraktion möge sich der unterdrückten Polen annehmen? Das waren wir, die man

Nächste Seite »



[1] Redaktionelle Überschrift.

[2] Georg Ledebour hatte in seiner Resolution beantragt, der Parteitag solle die Erwartung aussprechen, daß die Zusammenarbeit der deutschen Sozialdemokratie mit der Organisation der polnischen Sozialdemokraten in Deutschland sich wieder verbessern werde.

[3] Auf Initiative der deutschen Sozialdemokratie war im Dezember 1890 die Vereinigung polnischer Sozialisten in Berlin gegründet worden, die sich im September 1893 unter Führung von Franciszek Morawski und Franciszek Merkowski mit anderen polnischen sozialistischen Gruppen zur Polnischen Sozialistischen Partei (PPS) des preußischen Teils von Polen konstituierte. Sie war bis 1903 ein autonomer Bestandteil der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. In Lwów hatte im Januar 1892 ein Kongreß sozialistischer Gruppen und Arbeiterorganisationen stattgefunden, auf dem unter Führung von Ignacy Daszyński, Samuel Haecker u. a. die Galizische Sozialdemokratische Partei, auch Sozialdemokratische Partei Galiziens genannt, als Teil der österreichischen Sozialdemokratie geschaffen worden war.

[4] In Berlin fand am 27. Mai 1901 der Parteitag der Polnischen Sozialistischen Partei statt.

[5] Siehe Rosa Luxemburg: Zur Verteidigung der Nationalität. In: GW, Bd. 1/2, Bd. 1/1, S. 810–828.

[6] In Mainz fand vom 17. bis 21. September 1900 der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie statt.