Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 108

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Der Parteitag und der Hamburger Gewerkschaftsstreit

I

In dem Falle der Hamburger Akkordmaurer[1], der wohl am meisten auf dem kommenden Parteitag die Gemüter erregen wird, ist unter anderem ein Moment sehr interessant: nämlich der Umstand, daß für den Ausschluß der Sonderbündler unter den Hamburger Maurern aus der Sozialdemokratischen Partei mit am lautesten diejenigen eintreten, die, wie v. Elm, bei jeder Gelegenheit die strikteste politische „Neutralität“ der Gewerkschaften predigen. Während nach dieser Theorie, wenn man ihre Konsequenzen klar ausdenkt und offen ausspricht, die Sozialdemokratie für die Gewerkschaften vollkommen Luft sein soll, erscheint hier die schwerste Bestrafung der Mitglieder der Sozialdemokratie für gewerkschaftliche Vergehen als die heiligste Pflicht der Partei. Die Theorie der „Neutralität“ erweist sich auch hier wie bereits mehrmals in der Praxis als ein einseitiges Verhältnis auf Kosten der politischen Partei.

Aber was auf der einen Seite Inkonsequenz mit der eigenen Theorie, erscheint auf der anderen als ein Protest gegen die Theorie selbst. Es wird

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[1] 1900 war zwischen dem Unternehmerverband des Baugewerbes und der Ortsgruppe Hamburg des Zentralverbandes der Maurer eine Tarifvereinbarung getroffen worden, die die Akkordarbeit ausschloß. Da sich einige Maurer dem Beschluß nicht fügten und weiter im Akkord arbeiteten, verhängte der Verband über diese Baustellen die Sperre und schloß die Akkordmaurer aus dem Verband aus. Diese gründeten daraufhin die Freie Vereinigung und beschlossen, auf allen gesperrten Baustellen die Arbeit aufzunehmen. Dieses Vorgehen, von der Gewerkschaft als Streikbruch ausgelegt, veranlaßte die Hamburger Parteiorganisationen, an den sozialdemokratischen Parteivorstand den Antrag auf Ausschluß der Akkordmaurer aus der Partei zu stellen. Ein vom Parteivorstand berufenes Schiedsgericht lehnte diesen Antrag ab. Da die von den Hamburgern angerufene Kontrollkommission den Ausschlußantrag ebenfalls ablehnte, beschäftigte sich der Parteitag, der vom 22. bis 28. September 1901 in Lübeck stattfand, mit dieser Frage. Durch einen Beschluß wurde festgelegt, den örtlichen Parteiorganisationen die Entscheidung zu überlassen, mit welchen Mitteln sie den Zentralverband der Maurer in seinem Vorgehen gegen die Akkordmaurer unterstützen können und inwieweit sie ein Zusammenarbeiten mit ihnen in der Parteiorganisation für möglich halten.