Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 109

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nicht zum geringsten eine Reaktion gegen die Neutralitätslehre sein, was der Opposition manches Genossen gegen den Hamburger Schiedsspruch zugrunde liegt. Gerade der Unwille gegenüber den in der letzten Zeit laut gewordenen Theorien der gegenseitigen Gleichgültigkeit und Abgeschlossenheit der politischen und wirtschaftlichen Arbeiterbewegung läßt eine Entscheidung als Fehlgriff empfinden, die, wenn auch nur äußerlich, die Gleichgültigkeit der Partei gegenüber dem gewerkschaftlichen Verhalten ihrer Angehörigen auszudrücken scheint.

Der Parteitag, vor den die Frage nunmehr als vor die letzte Instanz tritt, hat gewiß eine schwierige Aufgabe zu lösen. Er muß auf der einen Seite unbedingt der Empörung Rechnung tragen, welche die Handlungsweise der Hamburger Akkordmaurer in den weitesten Kreisen unserer Partei hervorgerufen hat. Die lauten Protestrufe unserer Elitetruppen in Hamburg, in Berlin, in Breslau und sonst im Lande gegen den Schiedsspruch sind vor allem als höchst erfreuliche Symptome des gesunden Klassenbewußtseins, des kräftigen Solidaritätsgefühls in der sozialdemokratischen Arbeiterschaft aufzufassen, vermöge derer ein Disziplinbruch, wie ihn die Hamburger Sonderbündler verübt haben, als eine Ehrenkränkung der gesamten Arbeiterklasse empfunden wird. Diese Denkweise und Empfindungsart in unseren Reihen zu mißachten und zu verletzen kann am allerwenigsten unsere Aufgabe sein. Im Gegenteil, sie pflegen und stärken ist es, was jedes verantwortliche Organ der Partei im allgemeinen und der Lübecker Parteitag im besonderen zu tun hat.

Auch materiell, was den Kampf gegen die Akkordarbeit betrifft, auf dessen Boden sich der traurige Hamburger Zwischenfall abgespielt hat, muß der Parteitag sein vollwichtiges Wort zugunsten der Kläger sprechen. Es ist dies eine jener wirtschaftlichen Angelegenheiten, die das gesamte internationale Proletariat aufs lebhafteste interessieren. Und man muß es als ein krasses Beispiel der Sorglosigkeit auffassen, mit der Beschlüsse internationaler sozialistischer Kongresse dem Staube und den Motten überlassen werden, daß zahlreiche Mitglieder der deutschen Sozialdemokratie in einer ihrer Hochburgen in bezug auf die Akkordarbeit die verkehrtesten Ansichten zu verfechten imstande waren. Der Beschluß des Internationalen Kongresses in Brüssel vom Jahre 1891 läßt keinen Zweifel über die Stellung des internationalen Proletariats zu. Die diesbezügliche, mit allen gegen eine Stimme angenommene Resolution des belgischen Abgeordneten Bertrand lautet:

„In Erwägung,

daß die Akkordarbeit sich immer mehr verallgemeinert;

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