Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 98

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Nach dem Kongreß

Der französische Einigungskongreß in Lyon[1] hat, wie wir vorausgesehen haben, mit einer Spaltung geendet. Daß der grundsätzliche Gegensatz in der Auffassung des sozialistischen Kampfes das Gelingen des Einigungsversuchs äußerst zweifelhaft erscheinen ließ, war für niemand ein Geheimnis, der die Vorgänge in der französischen Bewegung in der letzten Zeit aufmerksam verfolgt hat. Als einen vorteilhaften Umstand muß man es aber begrüßen, daß die Spaltung diesmal, im Unterschied zu der auf dem vorjährigen Kongreß im Saale Wagram[2], auf einem Boden erfolgte, der auch äußerlich die innere Quelle des Zwiespaltes und seinen grundsätzlichen Charakter deutlich zum Ausdruck gebracht hat.

Als die Sozialistisch-revolutionäre Partei (sogenannte Blanquisten) sich anschickte, nach Lyon zu gehen, gab sie die formelle Erklärung ab, keinesfalls auf dem Kongreß einen Antrag auf Ausschluß Millerands aus der Partei oder eine Aufforderung an ihn zur Niederlegung des Portefeuilles einbringen zu wollen. Noch mehr. Vaillant selbst schrieb im „Petit Sou“ am 17. Mai: „Der Kongreß ist bloß zur Behandlung der Organisation und Konstituierung der Partei zusammenberufen, und er muß sich auf diese Tagesordnung beschränken.“

Es ist somit klar, daß die Blanquisten ihrerseits nicht im geringsten einen „Spaltungsvorwand“ suchten, wie ihnen nachträglich Jaurès vorwarf, daß sie nach Lyon gingen ohne jede Absicht, die Millerand-Frage[3] im engeren Sinne auszuspielen, vielmehr lediglich mit dem aufrichtigen Wunsche, wenn auch geringer Hoffnung, eine Verständigung auf dem Boden

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[1] Siehe Rosa Luxemburg: Zum französischen Einigungskongreß. In: GW, Bd. 1/2, S. 86–97.

[2] Der zweite Kongreß der französischen Sozialisten fand im September 1900 im Wagramsaal von Paris statt. Der Kongreß scheiterte, da sich die Vertreter der Französischen Arbeiterpartei unter Führung von Jules Guesde mit den Anhängern Jean Jaurès nicht über die Gültigkeit verschiedener Mandate einigen konnten und jede Partei versuchte, die andere zu majorisieren. Jules Guesde verließ mit seinen Anhängern den Kongreß.

[3] Alexandre-Etienne Millerand, der in der französischen sozialistischen Bewegung eine sozialreformerische Richtung vertrat, war vom 22. Juni 1899 bis 28. Mai 1902 im reaktionären bürgerlichen Kabinett Waldeck-Rousseau Handelsminister. Dieser erstmalige Eintritt eines Sozialisten in die Regierung eines bürgerlichen Staates führte in der II. Internationale zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den revolutionären Kräften und Reformisten.