Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 181

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Eine taktische Frage

[1]

Leipzig, 4. April

Als in unseren Reihen vor einigen Jahren die Frage der Allianzen mit bürgerlichen Parteien besonders lebhaft diskutiert wurde, da pflegten sich die Verteidiger politischer Bündnisse auf das Beispiel der belgischen Arbeiterpartei zu berufen. Ihre Allianz mit den Liberalen im langjährigen Kampfe um das allgemeine Wahlrecht sollte als Exempel dazu dienen, um die zeitweilige Notwendigkeit und politische Unverfänglichkeit von Bündnissen zwischen der Sozialdemokratie und der bürgerlichen Demokratie zu demonstrieren.

Der Beweis war schon damals verfehlt. Denn wem die ständigen Schwankungen und die wiederholten Verrätereien der belgischen Liberalen an ihren proletarischen Kampfgenossen nicht unbekannt waren, der konnte durch die Erfahrungen Belgiens nur zu dem größten Pessimismus in bezug auf die Unterstützung der Arbeiterklasse seitens der bürgerlichen Demokratie geführt werden. Heute liefern uns die Beschlüsse des jüngsten Parteitags der belgischen Sozialdemokratie[2] einen neuen und sehr wichtigen Beitrag zur Beurteilung der Frage.

In diesem Augenblick steht das belgische Proletariat bekanntlich vor einem wichtigen Wendepunkt in dem seit fünfzehn Jahren mit äußerster Zähigkeit geführten Kampfe um das allgemeine Wahlrecht. Es schickt sich an, einen erneuten Ansturm gegen die klerikale Herrschaft und das Pluralwahlsystem[3] vorzunehmen. Die lendenlahme liberale Bourgeoisie rafft sich

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[1] Dieser Artikel ist nicht gezeichnet. Er wurde in die von Clara Zetkin und Adolf Warski herausgegebenen und von Paul Frölich bearbeiteten „Gesammelten Werke“ Rosa Luxemburgs aufgenommen.

[2] Der Parteitag der belgischen Arbeiterpartei, der am 30. und 31. März 1902 in Brüssel durchgeführt worden war, hatte gefordert, das allgemeine und gleiche Stimmrecht nach dem Grundsatz: ein Mann, eine Stimme einzuführen und den Grundsatz des Proportionalwahlsystems in die Verfassung aufzunehmen. Das Frauenwahlrecht war verworfen worden.

[3] Das Pluralwahlsystem ist ein undemokratisches System, bei dem Wähler mit höherer Schulbildung, mit bestimmtem Steueraufkommen usw. mehr als eine Stimme abgeben können.