Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 180

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verspätete Einsicht herbeiführen. So entdeckt man zum Beispiel hier und dort, nachdem man die Niedermetzelungen streikender Arbeiter, sozialistische Abstimmungen für die Brandmarkung des Sozialismus, das Fiasko der ganzen „republikanischen Verteidigung“ ruhig eingesteckt hat, die Verwerflichkeit des sozialistischen Ministerialismus – in der verhältnismäßig harmlosen Operette des Zarenempfanges in Frankreich.

Seit Newton durch den Fall eines Apfels auf seine Weltentheorie gebracht wurde, scheint es Gesetz zu sein, daß sich Menschen nicht eher über die einfachsten Vorgänge klarwerden, als bis ihnen faule Äpfel auf die Nase regnen.

Immerhin dürfte bald auch die Zeit da sein, wo über den Ministerialismus nur eine Stimme der Verurteilung herrschen und wo – mit der bekannten psychologischen Erscheinung – kein Mensch wird überhaupt je anderer Meinung hierüber gewesen sein wollen. Bevor jedoch die sozialistische Internationale über das große opportunistische Experiment Frankreichs endgültig zur Tagesordnung übergeht, wäre es für sie unbedingt notwendig, aus diesem Experiment zu lernen. Die dreijährige Periode des Millerandismus in Frankreich ist unseres Erachtens ein ebensowichtiger Markstein in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung, wie es im anderen Sinne die zehn Wochen der Pariser Kommune von 1871 waren.

Die Neue Zeit (Stuttgart),
20. Jg. 1901/02, Erster Band,
I: S. 710-718,

II u. III: S. 751-758.

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