Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 378

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Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 13. bis 20. September 1903 in Dresden

[1]

I Rede über die Frage der polnischen Sonderorganisation

[2]

Falls irgend jemand nach den bisherigen Verhandlungen vielleicht den falschen Verdacht schöpfen könnte, daß in der deutschen Sozialdemokratie der Gerechtigkeitssinn nicht genügend vertreten wäre, so würde er nach dieser kurzen Debatte auf das angenehmste enttäuscht sein. Ich war selbst sehr erfreut, so viele Verteidiger des unterdrückten polnischen Volkes, zu dem zu gehören ich die Ehre habe, hier zu finden. Nur habe ich nicht feststellen können, daß die Sachkunde auf derselben Höhe stände wie das Gerechtigkeitsgefühl. (Heiterkeit.) Haenisch stellte es so dar, als ob der Offene Brief der polnischen Sonderorganisation an den Parteitag ein Zeichen ihres außerordentlichen Friedensbedürfnisses sei. Ich habe genau dasselbe sagen müssen. Nur sagte ich mir auch – was sich Haenisch nicht sagen konnte, weil dies wahrscheinlich das erste Schriftstück ist, das er über diese Frage liest, während ich absolut alles kenne und weiß, was darüber geschrieben ist –: Es ist doch merkwürdig, trotz soviel Liebe und Friedensbedürfnis ist diese Sonderorganisation vor zwei Jahren aus der deutschen Sozialdemokratie ausgetreten! Trotz dieses Friedensbedürfnisses hat diese Sonderorganisation im vorigen Jahre Gegenkandidaten gegen die deutschen und polnischen sozialdemokratischen Kandidaten in Oberschlesien aufgestellt! Trotz dieses Friedensbedürfnisses mußte der deutsche Parteivorstand sich in drei lang ausgedehnten Konferenzen mit dieser Organisation plagen, um den unbedingt notwendigen Frieden in den polnischen Provinzen herzustellen. Es ist eben nicht alles so, wie es aussieht in den

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[1] Redaktionelle Überschrift.

[2] Auf Initiative der deutschen Sozialdemokratie war im Dezember 1890 die Vereinigung polnischer Sozialisten in Berlin gegründet worden, die sich im September 1893 unter Führung von Franciszek Morawski und Franciszek Merkowski mit anderen polnischen sozialistischen Gruppen zur Polnischen Sozialistischen Partei (PPS) des preußischen Teils von Polen konstituierte. Sie war bis 1903 ein autonomer Bestandteil der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. In Lwów hatte im Januar 1892 ein Kongreß sozialistischer Gruppen und Arbeiterorganisationen stattgefunden, auf dem unter Führung von Ignacy Daszyński, Samuel Haecker u. a. die Galizische Sozialdemokratische Partei, auch Sozialdemokratische Partei Galiziens genannt, als Teil der österreichischen Sozialdemokratie geschaffen worden war. In einem „Offenen Brief der Polnischen sozialistischen Partei (PPS) Deutschlands an die Deutsche Sozialdemokratie“ vom 1. September 1903 hatte die PPS dem Parteivorstand der deutschen Sozialdemokratie vorgeworfen, die Schuld am Scheitern der Verhandlungen über eine Einigung beider Organisationen zu tragen.