Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 377

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sich vergeblich abmüht, um ein Mittel der Überwindung der Marxschen Lehre zu finden, bemerkt sie nicht, daß das einzige wirkliche Mittel hierfür in dieser Lehre selbst verborgen ist. Durch und durch historisch, beansprucht sie nur eine zeitlich beschränkte Gültigkeit. Durch und durch dialektisch, trägt sie in sich selbst den sicheren Keim ihres Unterganges.

Die Marxsche Lehre in allgemeinsten Umrissen besteht, wenn wir von ihrem unvergänglichen Teil, nämlich von der historischen Forschungsmethode absehen, in der Erkenntnis des historischen Weges, der aus der letzten „antagonistischen“, auf Klassengegensätzen beruhenden Gesellschaftsform in die auf Interessensolidarität aller Mitglieder aufgebaute kommunistische Gesellschaft führt.

Sie ist vor allem, wie die früheren klassischen Theorien der Nationalökonomie auch, der geistige Reflex einer bestimmten Periode der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung, nämlich des Überganges aus der kapitalistischen in die sozialistische Phase der Geschichte. Aber sie ist mehr als nur Reflex. Der von Marx erkannte historische Übergang kann nämlich gar nicht vollzogen werden, ohne daß die Marxsche Erkenntnis zur gesellschaftlichen, zur Erkenntnis einer bestimmten Gesellschaftsklasse, des modernen Proletariats, geworden ist. Die von der Marxschen Theorie formulierte historische Umwälzung hat zur Voraussetzung, daß die Theorie von Marx zur Bewußtseinsform der Arbeiterklasse und als solche zum Element der Geschichte selbst wird.

So bewahrheitet sich die Marxsche Lehre fortschreitend mit jedem neuen Proletarier, der zum Träger des Klassenkampfes wird. Die Marxsche Lehre ist also zugleich ein Teil des geschichtlichen Prozesses, also auch selbst ein Prozeß, und die soziale Revolution wird das Schlußkapitel des Kommunistischen Manifestes sein.

Die Marxsche Lehre wird somit in ihrem für die bestehende Gesellschaftsordnung gefährlichsten Teil über kurz oder lang sicher „überwunden“ werden. Aber nur zusammen mit der bestehenden Gesellschaftsordnung.

Vorwärts (Berlin),

Nr. 62 vom 14. März 1903.

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