Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 500

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Die Revolution in Rußland

I

Die Entwicklung der revolutionären Ereignisse im Zarenreich hat schon mit der Verschiebung des proletarischen Aufstandes von Petersburg[1] nach der russischen Provinz und nach den litauischen und polnischen Gebieten jeden Zweifel darüber beseitigt, daß es sich gegenwärtig im Reiche der Knute nicht um eine spontane, blinde Revolte unterdrückter Sklaven, sondern um eine wirkliche politische Bewegung des klassenbewußten städtischen Proletariats handelt, die ganz einheitlich und im engsten politischen Zusammenhang nach dem plötzlichen Signal aus Petersburg eingeleitet wurde. Hier stand schon die Sozialdemokratie überall an der Spitze der Erhebung.

Und dies entspricht auch der natürlichen Rolle einer revolutionären Partei beim Ausbruch eines offenen politischen Massenkampfes.

Sich im Laufe der Revolution die führende Stellung erobern, die ersten Siege und Miederlagen der elementaren Erhebungen geschickt ausnutzen, um sich des Stromes im Strome selbst zu bemächtigen, dies ist die Aufgabe der Sozialdemokratie in revolutionären Epochen. Nicht den Anfang, sondern den Schluß, das Ergebnis des revolutionären Ausbruches meistern und dirigieren, dies ist das einzige Ziel, das sich eine politische Partei vernünftigerweise stellen kann, will sie sich nicht phantastischen Illusionen der Selbstüberschätzung oder einem indolenten Pessimismus hingeben.

Inwiefern aber diese Aufgabe der Partei gelingt, inwiefern sie der Situation gewachsen ist, das hängt zum größten Teil von der Frage ab, wieweit sich die Sozialdemokratie in vorrevolutionären Zeiten Einfluß auf die Massen zu verschaffen gewußt hat, wieweit es ihr schon vorher gelungen war, eine feste Kerntruppe zielklarer, politisch geschulter Arbei-

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[1] Siehe S. 479, Fußnote 1.