Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 469

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inneren objektiven Zusammenhange, sondern in ihrer Verzerrung durch die Gesetze der Konkurrenz an der sozialen Oberfläche vom Standpunkt des Einzelinteressenten zu kopieren, unter der Vorspiegelung einer wissenschaftlichen Untersuchung bloß eine Serie von Trivialitäten des „gesunden Menschenverstandes“ leisteten, wofür der Schwätzer Say ein Vorbild für alle Zeiten bleibt. Aber auch bei den Klassikern beruht ihre deduktive Methode mehr auf genialen Ahnungen der großen Zusammenhänge der kapitalistischen Wirtschaft, auf der Intuition, die sich aus der völlig unbefangenen Stellung der Petty, Smith, Ricardo gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft ergibt, die sie zugleich als die einzige, die absolute Gesellschaftsform betrachten. Erst aus der völlig veränderten Stellung Marxens zu seinem Forschungsstoffe, aus der Stellung des Sozialisten, der die Grenzen der bürgerlichen Wirtschaftsform von einer höheren Warte überblickt, kurz, aus der dialektischen Methode Marxens ergab sich die Möglichkeit, auch in bezug auf Einzelprobleme der Ökonomie die Analyse anzuwenden. Wie meisterlich und streng wissenschaftlich Marx dabei das analytische Verfahren auf die Nationalökonomie anwendete, das zeigt eben der zweite Anhang in seinem neuen Buche, wo er mit peinlicher, unermüdlicher Sorgfalt ans Werk geht und stufenweise durch die Fragestellung, Ausschaltung variabler Momente, Fixierung des eigentlichen Problems, Konfrontierung mit angrenzenden Begriffen, Probelösungen und Beweisführungen a contrario Schritt für Schritt wie mit einem Meißel sich in die Materie einbohrt, um schließlich zu derjenigen Lösung vorzudringen, die er uns im zweiten Bande des „Kapitals“ in fertiger Gestalt unter der Form einer Konstruktion à priori, nämlich seiner originellen Theorie des Austausches zwischen der Produktion von Genußmitteln und der Produktion von Produktionsmitteln, darstellt. Für diejenigen, die sich mit dem Krisenproblem ernst beschäftigen wollen, wird dieses Fragment vielfach ebenso wichtig und anregend sein wie die entsprechenden Kapitel im zweiten Bande des „Kapitals“.

II

Die Nationalökonomie stellt unter den Wissenschaften in gewisser Hinsicht ein Unikum dar als das einzige Beispiel einer Disziplin, der es vorenthalten ist, ihre eigene Geschichte zu schreiben. Zur Geschichtsschreibung gehört nämlich in diesem Falle als erste Bedingung diejenige Einsicht in den Zusammenhang zwischen dem gesellschaftlichen Prozeß und seinem

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