Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 470

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-2/seite/470

theoretischen Reflex, deren Fehlen gerade die wissenschaftliche Grundlage der bürgerlichen Nationalökonomie und ihrer Methoden bildet. Und daraus ergibt sich schon der merkwürdige Umstand, daß die Nationalökonomie über ihren Forschungsgegenstand, ihren Stoff selbst im dunkeln ist, indem ihre gelehrten Historiker krampfhaft den Anfängen der nationalökonomischen Theorien im ersten Morgengrauen der menschlichen Geschichte, im klassischen Orient, beinahe bei dem Affenmenschen, kurz überall da nachspüren, wo sie ebensowenig zu finden ist wie ihr einziger wirklicher Gegenstand – die kapitalistische Produktionsweise. Der Vorstellung von der bürgerlichen Gesellschaft als einer absoluten und ewigen Gesellschaftsform in bezug auf die Zukunft entspricht logisch die Vorstellung von der Nationalökonomie als einer absoluten und ewigen Wissenschaft in bezug auf die Vergangenheit. Und aus beiden ergibt sich, daß die Geschichte der Nationalökonomie nur von einem Sozialisten, genauer, nur vom Marxschen Standpunkte geschrieben werden konnte.

Anscheinend liegt freilich nirgends der materielle Hintergrund der gesellschaftlichen Bewußtseinsformen, der Ideologie, so zum Greifen nahe, ist nirgends so leicht zu fassen wie bei den Theorien über das wirtschaftliche Leben selbst. Allein, gerade hier zeigt es sich auch, was es mit jenen naturwüchsigen, instinktiven Anwendungen des historischen Materialismus ohne die Marxsche Dialektik auf sich hat, mit denen so manche „Überwinder“ des Marxschen „Dogmas“ viel Wesens machen. Nichts zeigt so schlagend wie die Geschichte der Nationalökonomie, daß bei den nichtmarxistischen Anwendungen des Materialismus gerade jene rohe Ableitung der abstraktesten ideologischen Formen direkt aus der Suppenschüssel herauskommt, die eingeschworene Vertreter des historischen Eklektizismus der Marxschen „einseitigen“ Geschichtsauffassung unermüdlich nachsagen.

Abgesehen von dem rein chronologischen „Historismus“, wie ihn Professor Roscher z. B. darstellt, der es fertiggebracht, einen Riesenband über die Geschichte der deutschen Nationalökonomie zu schreiben, die – ausgenommen den Deutschen Karl Marx – gar keine Geschichte hat, in dem er mit derselben pedantischen Wichtigtuerei die Ernestinischen und Albertinischen Pamphlete, die Katzbalgereien über die mittelalterlichen Kipper- und Wipperpraktiken der deutschen Fürsten auftischt wie z. B. die Smithschen Entdeckungen und ihren Abglanz in Deutschland, abgesehen von solchen geistlosen Chronisten, für die jedes Schriftchen wie in Gottes Tiergarten der kleinste Käfer dazu dient, den Geist des Schöpfers – hier die Gelehrsamkeit des Historikers – abzuspiegeln, sind manche Geschich-

Nächste Seite »