Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 363

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Stillstand und Fortschritt im Marxismus

In seinem seichten, aber stellenweise interessanten Geplauder über die sozialen Zustände in Frankreich und Belgien macht Karl Grün[1] u. a. die treffende Beobachtung, daß Fouriers und St-Simons Theorien so ganz verschieden auf ihre Anhänger wirkten: Während der letztere der Stammvater einer ganzen Generation glänzender Talente auf verschiedenen Gebieten der Geistestätigkeit wurde, hat der erstere es mit wenigen Ausnahmen nur zu einer starren Sekte von Nachbetern gebracht, die sich in keiner Hinsicht hervorgetan haben. Grün erklärt diesen Unterschied damit, daß Fourier ein fertiges, bis in die Einzelheiten ausgearbeitetes System hervorgebracht, während St-Simon nur ein loses Bündel großer Gedanken seinen Schülern hingeworfen habe. Obwohl uns Grün im gegebenen Fall zu wenig den inneren, inhaltlichen Unterschied zwischen den Theorien der beiden Klassiker des utopistischen Sozialismus berücksichtigt zu haben scheint, so ist die Bemerkung im allgemeinen richtig. Es unterliegt keinem Zweifel, daß ein nur in den Hauptzügen entworfenes Ideensystem viel anregender wirkt als ein fertiger symmetrischer Bau, an dem nichts mehr auszuführen ist, an dem sich ein reger Geist nicht selbständig versuchen kann.

Sollte dies der Grund sein, weshalb wir in der Marxschen Lehre seit Jahren einen solchen Stillstand verspüren? Denn tatsächlich, rechnet man ein paar selbständige Leistungen ab, die als theoretische Fortschritte betrachtet werden können, so haben wir seit dem Erscheinen der letzten Bände des „Kapitals“ und der letzten Engelsschen Arbeiten wohl einige schöne Popularisationen und Ausführungen der Marxschen Theorie gewonnen, aber im Grunde genommen stehen wir theoretisch genausoweit,

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[1] Karl Grün: Die soziale Bewegung in Belgien und Frankreich. Briefe und Studien, Darmstadt 1845.