Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 362

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ganzen vergegenwärtigen, so stellt sie eine vollkommen logische Entwicklung dar.

Die gesellschaftlichen Verhältnisse Polens, durch einen stark entwickelten Kapitalismus sowie die westeuropäischen Einflüsse gestaltet, führten den polnischen Sozialismus bereits im Jahre 1881 zum sozialdemokratischen Standpunkt. Der aus diesem Standpunkt geschlußfolgerte Grundsatz eines gemeinsamen Programms und einer gemeinsamen Aktion mit dem russischen Sozialismus lieferte den polnischen Sozialismus in den achtziger Jahren dem Einfluß der „Narodnaja Wolja“ aus. Dieser Einfluß brachte ihn auf die Bahnen des Blanquismus, wo er nach wenigen Jahren zusammen mit der russischen Bewegung schwinden mußte.

Damit schließt das erste Kapitel der Geschichte des sozialistischen Denkens in Polen, aber die Schlußfolgerungen, die man a priori mit voller Sicherheit daraus ziehen konnte, sind folgende: Wenn der polnische Sozialismus seine Bewegungsfreiheit wiedererlangt, um sich lediglich an die eigene Tendenz seiner inneren Entwicklung zu halten, die dem System der gesellschaftlichen Verhältnisse im Königreich entspricht, muß er zum sozialdemokratischen Standpunkt zurückkehren. Andererseits wird die Entwicklung der sozialdemokratischen Bewegung im Königreich erst dann auf die Dauer garantiert sein, wenn der russische Sozialismus sich gleichfalls auf den Boden der Sozialdemokratie stellt.

Die erste dieser Bedingungen erfüllte die Periode der Stagnation der sozialistischen Bewegung, die nach dem Zerfall der „Narodnaja Wolja“ eintrat und während der der polnische Sozialismus, von den Einflüssen der „selbständigen“ russischen Theorien befreit, bereits zu Anfang der neunziger Jahre zu einer Massenbewegung im Königreich und zuerst faktisch und kurz danach (im Jahre 1893) formell zur Organisierung der Sozialdemokratie des Königreichs Polen führte.

Die zweite Bedingung wurde durch die Massenbewegung des Industrieproletariats in Rußland verwirklicht, das, in der Mitte der neunziger Jahre entstanden, den „einheimischen“ Theorien des Sozialismus, die durch die Kritik der russischen Marxisten bereits seit langem widerlegt waren, ein für alle Male den materiellen Boden entzog und für die russische Sozialdemokratie ein dauerhaftes Fundament schuf.

Przegląd Socjaldemokratyczny (o. O.),

1903, Nr. 1, S. 16-32.

1903, Nr. 2, S. 49-67.

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