Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 160

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Der Abschluß der sozialistischen Krise in Frankreich

[1]

I

Historische Possen haben wie alle schlechten Theaterstücke die Eigentümlichkeit, daß der Zuschauer meistens gar nicht merkt, wann die Handlung eigentlich zu Ende ist. Während die öffentliche Meinung immer noch gespannt nach Frankreich blickt und der weiteren Entwicklung der Dinge harrt, ist tatsächlich der Schlußakt der sozialistisch-ministerialistischen Posse[2] schon unvermerkt zu Ende gegangen. Umsonst blickt man unverwandt nach dem Lande des „großen Experimentes“ und harrt. Die Handlung ist erschöpft, die Rollen ausgespielt, und es beginnt sogar von den verlöschenden Lampen im Zuschauerraum etwas schlecht zu riechen.

Wir prophezeien damit nicht etwa den unmittelbar bevorstehenden Sturz des Ministeriums Waldeck–Millerand. Es gehört unseres Erachtens im Gegenteil wieder ein Stück jenes berühmten „parlamentarischen Kretinismus“ dazu, um die politisch-historische Zeitrechnung eines Landes nach so äußerlichen Momenten wie den parlamentarischen Ministerwechseln zu führen. Wir meinen nur, daß die innere logische Entwicklung der besonderen Situation, die mit dem Eintritt eines Sozialisten in die Regierung für das politische Frankreich wie für den französischen Sozialismus insbesondere geschaffen wurde, bereits abgeschlossen ist, daß sie alle Konsequenzen, mit denen sie schwanger ging, bereits in die Erscheinung gebracht hat und daß wir fortab keine neuen Momente in der Krise, sondern lediglich die mechanische Fortbewegung der vorhandenen zu gewärtigen haben.

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[1] Das Manuskript des vorliegenden Artikels war schon vor dem Kongreß von Tours in unseren Händen. Sein Abdruck verzögerte sich, weil wir dem Longuetschen Artikel [Jean Longuet: Die Situation der sozialistischen Bewegung in Frankreich. In: Die Neue Zeit (Stuttgart), 20. Jg. 1901/02, Erster Band, S. 652–659.), den der Kongreß größtenteils gegenstandslos gemacht hätte, den Vortritt ließen. Die Red.

[2] Alexandre-Etienne Millerand, der in der französischen sozialistischen Bewegung eine sozialreformerische Richtung vertrat, war vom 22. Juni 1899 bis 28. Mai 1902 im reaktionären bürgerlichen Kabinett Waldeck-Rousseau Handelsminister. Dieser erstmalige Eintritt eines Sozialisten in die Regierung eines bürgerlichen Staates führte in der II. Internationale zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den revolutionären Kräften und Reformisten.