Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 186

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-2/seite/186

Gleb Uspenski

[1]

Leipzig, 9. April

„Der Schriftsteller Gleb Uspenski, der über das russische Volksleben geschrieben hat, ist gestern in Strelna bei Petersburg gestorben.“

Berliner Tageblatt vom 7. April,

„Kleine Mitteilungen“ im Feuilleton

„Der Schriftsteller, der über das russische Volksleben geschrieben hat“! – soviel weiß ein sogenanntes Intelligenzblatt der Reichshauptstadt, das in der Kunst und Wissenschaft beider Hemisphären Bescheid zu wissen vorgibt, von einem Manne zu melden, dessen Name für das geistige Leben Rußlands eine Epoche bedeutet und in dessen Schatten die gesamte deutsche „Moderne“ wie eine Schar Sperlinge im Schatten einer Pyramide spazierengehen kann. Mit dem Namen Uspenski verbindet sich für Rußland die Erinnerung an die heftigsten geistigen Kämpfe im Scheine seiner Intelligenz, an die Epoche der Neugestaltung seiner Literatur und seiner Publizistik, an das Aufkommen der Glanzperiode und auch den Verfall der berühmten Narodnitschestwo (Volkstümlerrichtung), kurz – an die ganze soziale, politische und geistige Krise, die im Zarenreiche durch den Sewastopolschen Krieg[2] entfesselt wurde.

Die Epoche der 60er Jahre, zu deren Anfang gleich Uspenski an der Spitze einer ganzen Schar junger literarischer Kräfte seine Feder versuchte, war in der Tat die einer schweren und allseitigen Krise, einer Umwälzung aller hergebrachten Daseinsformen, Sitten und Begriffe des alten Rußlands.

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[1] Dieser Artikel ist nicht gezeichnet. Er wurde veröffentlicht in: Poзa Люkceмbypґ o лuтepaype, Moskau 1961, S. 67–75.

[2] Gemeint ist der Krimkrieg 1853–1856, in dem Großbritannien und Frankreich dem zaristischen Rußland eine empfindliche Niederlage bereiteten.