Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 287

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-2/seite/287

Der Achtstundentag auf dem Parteitag

[1]

Leipzig, 19. September

Wenn die ausgedehnte Debatte über den achtstündigen Arbeitstag, die sich auf unserem Parteitag[2] am Mittwoch und Donnerstag an den Bericht über die parlamentarische Tätigkeit angeschlossen hat, auch mit der üblichen Überweisung der betreffenden Anträge an die Fraktion geendet hat, so werden unsere Reichstagsabgeordneten doch hoffentlich aus dieser Debatte ersehen haben, daß ihr Vorgehen in der Frage des Achtstundentages in weiten Parteikreisen eine gewisse Unbefriedigung hervorgerufen hat. Die von dem Genossen Eichhorn wie von einer großen Anzahl Berliner Delegierten angeschnittene Debatte war deshalb an sich sehr nützlich, nur ließ sie es vielleicht an einigen wichtigen Gesichtspunkten fehlen.

Es hieße in der Tat die Frage unserer parlamentarischen Taktik gegenüber dem Achtstundentag ins grotesk Winzige ziehen, wenn man sie, wie einige unserer Fraktionsmitglieder auf dem Parteitag, zur reinen Frage der Geschäftsordnung des Reichstags machte. Sogar zugegeben, daß den gewöhnlichen Parteisterblichen das richtige Verständnis für diese mysteriöse und verwickelte Materie, die sich die Geschäftsordnung des Reichstags nennt, fehlen mag, so kann die Geschäftsordnung doch nur darüber entscheiden, wann und in welcher Form wir im Reichstag die Forderung des Achtstundengesetzes vorbringen. Der Schwerpunkt der Sache liegt aber unseres Erachtens darin, daß unsere Fraktion überhaupt nicht den Achtstundentag, sondern zunächst den Zehnstundentag beantragt!

Nach den Äußerungen des Referenten über die parlamentarische Tätigkeit, Genossen Rosenow, sowie des Genossen Edmund Fischer ist es zwei-

Nächste Seite »



[1] Dieser Artikel ist nicht gezeichnet. Er wurde in die von Clara Zetkin und Adolf Warski herausgegebenen und von Paul Frölich bearbeiteten „Gesammelten Werke“ Rosa Luxemburgs aufgenommen.

[2] Der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie fand vom 14. bis 20. September 1902 in München statt.