unter dem Drucke der entschlossenen Arbeiterschaft gleichfalls zu einer Aktion auf und bietet der Sozialdemokratie die Hand zur gemeinsamen Kampagne.
Die Allianz wird aber diesmal wie ein regelrechtes Tauschgeschäft abgeschlossen: Die Liberalen verzichten auf das Pluralwahlsystem und nehmen das allgemeine, gleiche Wahlrecht (ein Mann – eine Stimme) in Kauf, die Sozialdemokratie soll dafür das Proportionalwahlsystem[1] als verfassungsmäßig verbürgten Wahlmodus in Kauf nehmen und auf die Forderung des Frauenstimmrechts sowie auf revolutionäre Mittel im Kampfe um das Wahlrecht verzichten. Die Brüsseler Föderation der Arbeiterpartei hatte bereits die Bedingungen der Liberalen in der Hauptsache angenommen, der Osterkongreß der Sozialdemokratie Belgiens hat das politische Geschäft durch seine Zustimmung perfekt gemacht.
Es ist somit klar, und diese einfache Tatsache läßt sich nicht hinwegdisputieren, daß die Allianz oder richtiger der Kompromiß mit den Liberalen zu einem Verzicht der Sozialdemokratie auf einen ihrer Programmgrundsätze geführt hat. Freilich versichern die belgischen Genossen, daß sie nur „einstweilen“ die Forderung des politischen Frauenstimmrechts fallenlassen, um sie nach dem Siege des allgemeinen Wahlrechts für Männer wiederaufzunehmen. Allein, die Auffassung ist bis jetzt für die Sozialdemokratie aller Länder neu, wonach ihr Programm eine Art Menü darstellt, dessen einzelne Gerichte nur nach der Reihe verspeist werden. Und wenn die jeweilige politische Situation es mit sich bringt, daß die Arbeiterpartei in jedem Lande zeitweilig mehr agitatorisches Gewicht auf bestimmte ihrer Forderungen als auf die übrigen legt, so bleibt doch die Gesamtheit unserer Forderungen die ständige Grundlage unseres politischen Kampfes. Zwischen der zeitweiligen geringeren Betonung eines Programmpunktes und seiner ausdrücklichen, wenn auch zeitweiligen Aufopferung als Kaufpreis für eine andere Programmforderung liegt die ganze Strecke, die den grundsätzlichen Kampf der Sozialdemokratie von den politischen Manipulationen der bürgerlichen Parteien trennt.
Um eine Aufopferung des Frauenstimmrechts in Belgien handelt es sich aber tatsächlich. Die vom Brüsseler Kongreß angenommene Resolution sagt zwar nur lakonisch: „Die nächste Verfassungsrevision soll auf das allgemeine Stimmrecht der Männer beschränkt werden.“ Allein, es ist zu erwarten, daß die Klerikalen während der Revision den formellen Gesetzentwurf des Frauenwahlrechts hineintragen, um einen Zankapfel zwischen
[1] Beim Proportionalwahlsystem wird die Zahl der Abgeordneten einer Partei aus dem Verhältnis der für sie abgegebenen Stimmen zu den insgesamt abgegebenen ermittelt.