Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 97

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zu diesem Ziele haben die alten Parteien schon beschritten, und sie marschieren auf ihm immer weiter. Die Notwendigkeit selbst, den Anhängern des Regierungssozialismus festen Widerstand zu bieten, führt die Parteien von Guesde-Lafargue und Vaillant mit ihrem Anhang dazu, eine gemeinsame Zentralexekutive zu schaffen und das gemeinsam ausgearbeitete Einigungsprojekt zu verwirklichen. Einmal auf dem Boden der gemeinsamen prinzipiellen Auffassung konzentriert, werden die alten sozialistischen Kräfte zum Anziehungspunkt für alle neuen echt sozialistischen Elemente und so zum Mittelpunkt der wirklichen sozialistischen Einigkeit werden.

Um diese in Frankreich einmal voll und ganz zu verwirklichen, wie Jaurès es heute schon voreilig will, dazu ist noch eins nötig: der restlose Zusammenbruch der Lehre vom ministeriellen Sozialismus. Die Regierung und die bürgerlichen Parteien tun ihrerseits hierfür, was in ihren Kräften steht. Das jämmerliche Ende der „republikanischen Verteidigung“ in dem Assoziationsgesetz, das Fiasko der Millerandschen Sozialreform in dem obligatorischen Streikgesetz, das sogar von seinen eigenen Anhängern über Bord geworfen wurde, das militärische Massaker bei der Maifeier in Grenoble, wobei ein Sozialist getötet worden ist, das Bauchrutschen des sozialistisch-radikalen Kabinetts nach Petersburg zu dem kosakischen Alleinherrscher – alles dies sind Schläge, die dem verbohrtesten Staatssozialisten Revolution einpauken können. Hoffentlich wird das Kabinett Waldeck–Millerand nicht zu früh zu den übrigen Leichen auf dem ministeriellen Kirchhof gelegt, bevor es die „neue Methode“ wie ein Sieb durchlöchert und so die sozialistische Einigkeit in Frankreich endgültig und in vollem Umfang vorbereitet hat.

Die Neue Zeit (Stuttgart),

19. Jg. 1900/01, Zweiter Band, S. 202-210.

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