der Episode an der Newa der Umstand schuld, daß der Zar Nikolaus nicht zum Petersburger „Pöbel“ gutmütig hinausgegangen war und ihn milde angehört hatte, als habe lediglich die verkehrte Bewirtung des proletarischen Pilgerzugs mit blauen Bohnen verhindert, daß das ganze Schauspiel in eine echt liberale Posse der Versöhnung des Landesvaters mit seinen lieben Kindern unter beiderseitig zusammenfließenden Freudentränen und gegenseitigem Hochlebenlassen, in ein rührseliges „Volksstück“, in einen Iffland auslief, wie deren unzählige der deutsche Liberalismus noch seit den denkwürdigen Bürgermeisterstagen der Rotteck in Freiburg anno 1833[1] und bis auf die jüngsten Tage aufgeführt hat.
Das Schauspiel hat sich nämlich schon einmal in der Geschichte zugetragen, und zwar spielte sich der Anfang ganz nach dem liberalen Rezept ab. An jenem 5. Oktober 1789, als das Pariser Proletariat, die Weiber voraus, nach Versailles zog, um sich seinen dicken Capet nach Paris zu holen und mit ihm ein paar Worte unter vier Augen zu reden, da verlief die Sache anfänglich mit leidlichem Wohlanstand und in hübscher Ordnung. Ludwig XVI. gab, wenn auch mit etwas bebenden Lippen, die Versicherung, daß er „vertrauensvoll und mit Vergnügen“ zu seinen lieben Parisern zurückkehren wolle, und bald darauf gab es sogar auf dem Marsfeld eine große Vorstellung gegenseitiger Treueide und Ewigkeitsschwüre[2], die kein Ende nehmen wollten, gleichwie zwischen einem verliebten Primaner und einem errötenden Backfisch unter blühendem Fliederstrauch. Und doch verwickelte sich der gutmütige Ludwig alsbald so in das idyllisch begonnene Spiel mit dem Volke, daß er im letzten Schlusse seinen Speckkopf ganz und gar verlor.
Die russische Revolution hat anders begonnen, kann aber sehr leicht einen ähnlichen Ausgang in dieser Hinsicht nehmen. Und man muß es dem kleinen Nikolaus und seinen „schlechten Beratern“ lassen, daß sie von ihrem Standpunkt die Situation viel richtiger eingeschätzt haben als die
[1] Karl von Rotteck, ein Vorkämpfer des Liberalismus, von 1819 bis 1840 Führer der Opposition zunächst in der ersten, dann in der zweiten Kammer des badischen Landtags, war 1832 wegen seiner fortschrittlichen Anschauungen der Professur an der Universität Freiburg i. Br., die er seit 1798 innehatte, enthoben worden. Zu Beginn des Jahres 1833 wählte ihn daraufhin Freiburg i. Br. zum Bürgermeister, die badische Regierung verweigerte ihm jedoch die Bestätigung. Von einer zweiten Wahl, die einen Zwist zwischen der Stadt und der Regierung heraufzubeschwören drohte, riet Rotteck selbst ab.
[2] Auf dem Marsfeld in Paris wurde am 14. Juli 1790 der Jahrestag des Bastillesturms gefeiert. Zu diesem sogenannten Föderationsfest kamen aus allen französischen Departements Delegationen in die Hauptstadt. die von den örtlichen Verbänden der Nationalgarde gewählt worden waren. Sie schworen „der Nation, dem Gesetz, dem König“ die Treue, während der König den Eid auf die Verfassung leistete.