ein klaffender Widerspruch. Diejenigen, die sich im ersten Augenblick über die demütig bittende Stellung des Petersburger Volkes entsetzten, womit es feierlich, mit feuchten Augen und des Gekreuzigten Bild in den Händen, zum Zaren wallfahrtete, haben bei dem Schauspiel die Hauptsache übersehen, den Umstand nämlich,.daß die demütige „Bitte“ der Volksmasse an den Zaren in nichts anderem bestand als darin, seine heilige Majestät möge sich gütig mit Höchstdero eigenen Händen als Alleinherrscher aller Reußen enthaupten. Es war die Bitte an den Autokraten, der Autokratie den Garaus zu machen, die Bitte an den Wolf, von nun an mit zarten Gemüsen statt mit warmem Blute fürlieb nehmen zu wollen. Es war das radikalste politische Programm, gekleidet in die Form einer rührenden patriarchalischen Idylle, es war der modernste Klassendrang eines tiefernsten reifen Proletariats, gesteckt in den phantastischen Einfall eines bunten Ammenmärchens. Und ebendieser Widerspruch zwischen dem revolutionären Kern der proletarischen Interessen und der primitiven Schale der Illusion vom „guten Fürsten“ ist es, der den zündenden Funken der Straßenrevolution gebären mußte, sobald er auf die Probe der Wirklichkeit gestellt wurde.
Die Probe aber sollte alsbald gemacht werden. Mit dem ganzen ursprünglichen Ungestüm der Volksmasse in stürmischen Zeiten drängt die Arbeiterschaft auf die tatsächliche Prüfung ihrer Auffassung, die sie ebenso heilig-ernst nimmt, wie die liberale Bourgeoisie alle ihre politischen Glaubensartikel zynisch-feig bei jeder Gelegenheit im Stiche läßt. Das Petersburger Proletariat macht mit seinem Zarenglauben Ernst und zieht mit erschütternder Einfachheit großer Entschlüsse vor des Autokraten Schloß. Hier stellt es sich aber gleich heraus, daß das Gottesgnadentum, daß die monarchische Idee – so gut in Rußland wie anderswo – eben ohne die schützende Schirmwand der „schlechten Berater“, der Hofkamarilla und des Bürokratentums, ohne das rettende Halbdunkel, hinter dem es sich vor seinen Landeskindern versteckt, gar nicht existieren kann. Es genügt, daß die erregte Volksmasse auf den formell kindlichen, tatsächlich furchtbaren Gedanken kommt, sich einmal ihren Landesvater von Angesicht zu Angesicht anzusehen und die Mythe vom „sozialen König- oder Kaisertum“ verwirklichen zu wollen, damit sich die Begegnung mit eherner Notwendigkeit in einen Zusammenprall zweier Todfeinde, in die Auseinandersetzung zweier Welten, in die Schlacht zweier Zeitalter verwandelt.
Nur die unverwüstliche Borniertheit des heutigen freisinnigen Pöbels kann sich dem Wahne hingeben, als sei an dem revolutionären Ausgang