Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 151

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„Blanquismus“ frei erscheinen dürfte, lebte Lassalle zunächst Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre ganz so in dem Gedanken und der Hoffnung auf eine nahe bevorstehende Revolution, die den Sieg des Proletariats einleiten sollte, wie Marx und Engels. Alle seine Briefe aus den ersten 3–4 Jahren atmen die sehnsuchtsvolle Erwartung großer Entscheidungen. Von den Hatzfeldtschen Prozessen, die ihn angeblich restlos verschlungen haben sollten, klingt in den Briefen an Marx nur hie und da eine wuchtige Anklage gegen die preußische Justiz durch. Mitten in dem titanischen Zweikampf mit diesem Ungeheuer sind Lassalles Blick und Gedanke durch alle Vorgänge der politischen und sozialen Zeitgeschichte gefesselt, dem Nachspüren jeder hoffnungerweckenden revolutionären Regung gewidmet. „Sehr gefreut hat mich“, schreibt er im April 1850 an Marx, „daß Du die Revolution für so nahe bevorstehend hältst, um so mehr, weil dies mit meinem Urteil übereintrifft, ich aber damit hier ziemlich allein stehe, da die meisten erst auf die Zeit der Präsidentenwahl (Ende 1851) in Frankreich wieder hoffen zu können glauben.“ Und im Mai desselben Jahres: „Schreibe mir umgehend, ob die französischen réfugiés (Flüchtlinge – R. L.) in London der Meinung sind, daß es bei Gelegenheit des Wahlreformprojekts in Paris zur Insurrektion kömmt. Ich bin zwar fest überzeugt, daß dies der Fall sein wird und muß. Der Sozialismus oder richtiger die sozialistische Partei in Frankreich würde sich eine ganz enorme Blöße geben, wenn sie bei dieser Lebensfrage nicht das Schwert zöge. Und zieht sie es nur, so ist, meiner Überzeugung nach, der Sieg gar nicht zweifelhaft.“ Noch im Juni 1851 findet er es trostlos, daß der Haft des mit Nothjung, Becker und andren Kommunisten festgenommenen Bürgers „wahrscheinlich erst die Revolution ein Ende machen wird“.

Als die Erwartungen durch den flachen Ausgang der revolutionären Periode in Frankreich enttäuscht wurden, verlegt Lassalle – hier wieder eins mit Marx – seine Hoffnungen auf eine bevorstehende Handelskrise. „Was hältst Du“, schreibt er im Dezember 1853, „von der Industriebewegung für künftiges Jahr? Sollte die lang erwartete Krise, deren Zeit seit der letzten von 1847 lange abgelaufen wäre – freilich ist sie durch die überaus schwache Produktion in den Jahren 1848 und 1849 etc. wesentlich aufgeschoben worden –, endlich herangenaht sein?“

Und endlich, als statt der Krise wie der Revolution die bleierne saison morte der politischen Reaktion begann, finden sich Lassalle und Marx wieder in einem Gedanken zusammen – in der momentanen Resignation und den Plänen einer vorläufigen stillen Maulwurfsarbeit der revolutionären Aufklärung.

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