Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 239

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worden ist. Da die Massenaktion von der politischen, genauer, parlamentarischen Leitung der Bewegung gar nicht in Aussicht genommen wurde, so standen die streikenden Massen ratlos im Hintergrund der Bühne, ohne jede Verbindung mit der eigentlichen, im Vordergrund geführten Aktion, bis sie ganz von der Bühne abkommandiert wurden. Die Erfolglosigkeit der jüngsten belgischen Kampagne vermag somit ebensowenig die Untauglichkeit des Generalstreiks zu beweisen, wie die Übergabe der Metzer Festung durch Bazaine die Untauglichkeit der Festungen im Kriege, wie der parlamentarische Verfall der deutschen Liberalen die Untauglichkeit des Parlamentarismus beweist.

Gerade umgekehrt. Das Fiasko der letzten Aktion der belgischen Arbeiterpartei muß jeden mit den Vorgängen Bekannten zu der Überzeugung bringen, daß nur der Generalstreik – wirklich ins Feld geführt – etwas hätte erreichen können. Und wenn eine Revision der Taktik der belgischen Genossen geboten ist, so scheint sie uns lediglich in der von uns bereits in dem vorigen Artikel an dieser Stelle angedeuteten Richtung zu liegen. Die Aprilkampagne hat nämlich das eine klar bewiesen: daß ein mittelbar gegen die Klerikalen, unmittelbar aber gegen die Bourgeoisie gerichteter Streik ein Schlag ins Wasser wird, sobald das kämpfende Proletariat mit der Bourgeoisie politisch verkoppelt ist. Aus einem Medium der politischen Pression auf die Regierung wird die Bourgeoisie für die Arbeiterschaft zur Kugel am Fuße, die ihre Schritte lähmt. Die wichtigste Lehre des belgischen Experimentes lautet also nicht gegen den Generalstreik als solchen, sondern umgekehrt gegen eine parlamentarische Allianz mit dem Liberalismus, die jeden Generalstreik zur Unfruchtbarkeit verurteilt.

Dem Reagieren hingegen auf das bloße Wort „Generalstreik“ mit den alten verschlissenen Schlagworten, die gegen die hirnverbrannten Ideen der Anarchisten und des Nieuwenhuisʼ gedient und ausgedient haben, und dem „Revidieren“ der belgischen Taktik lediglich auf Grund des oberflächlichsten Mißverständnisses der belgischen Vorgänge muß aber deshalb besonders scharf entgegengetreten werden, weil nicht nur die belgische Arbeiterschaft nach wie vor, sondern auch die schwedische gerade im Begriff steht, die Waffe des Generalstreiks im Kampfe um das allgemeine Wahlrecht zu schwingen. Es wäre sehr traurig, wenn sich auch nur die kleinste Gruppe der Kämpfenden in diesen Ländern durch die Redensarten von der Vorzüglichkeit der angeblichen „deutschen“ Kampfmethoden in ihrer Strategie irremachen ließe.

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