Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 79

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stimmte Grenzen gezogen, in denen und nicht außerhalb derer sie sich entfalten kann. Nur im Rahmen der Parteiprinzipien darf die Taktik variieren, und die Bezeichnung einer Frage als taktischer enthebt uns durchaus noch nicht der Möglichkeit und der Pflicht, die gegebene Lösung dieser Frage auf ihren prinzipiellen Charakter zu prüfen. Es gibt eben auch eine prinzipienwidrige Taktik, und sobald man dies eingesehen hat, verfehlt das in der letzten Zeit beliebte Pochen auf die Taktik seinen Zweck. Es stellt sich bei näherem Prüfen regelmäßig nur als eine Fasson heraus, ein mit den sozialdemokratischen Grundsätzen unvereinbares Handeln zu verschleiern, und dies trifft auch auf den vorliegenden Fall zu.

Seit der bürgerliche Parlamentarismus existiert, gilt die Bewilligung des Finanzgesetzes als ein Vertrauensvotum, die Ablehnung dagegen als Äußerung des Mißtrauens gegenüber dem Staate. Einer Regierung, mit der wir unzufrieden sind, bewilligen wir keine Existenzmittel; dies war seit jeher der Grundsatz jeder ernsten oppositionellen Partei der Bourgeoisie – von den englischen Liberalen bis zu den preußischen Fortschrittlern.

Die Sozialdemokratie zeichnet sich aber von den bürgerlichen Parteien gerade dadurch aus, daß sich ihre Opposition nicht bloß gegen diese oder jene, sondern gegen jede bürgerliche Regierung, weil gegen den Klassenstaat schlechthin richtet. Die Verweigerung der materiellen Mittel an diesen Staat kann für uns ebensowenig eine Frage der Zweckmäßigkeit sein wie unser Kampf gegen die Klassenherrschaft der Bourgeoisie, wie unser Bestreben, das Lohnsystem zu beseitigen und den Sieg des Proletariats herbeizuführen. Es ist unser Wesen selbst als einer Partei des Klassenkampfes, das hier in Frage kommt, und von diesem Standpunkt aus besteht zwischen dem Budget des Reiches und dem der Einzelstaaten nicht der geringste Unterschied.

Ob das Budget mehr oder weniger Militärausgaben oder Kulturausgaben enthält, diese quantitativen Erwägungen wären für uns nur in dem Falle maßgebend, wenn wir im allgemeinen auf dem Boden des heutigen Staates ständen und bloß seine Auswüchse, so zum Beispiel den Militärstaat, bekämpften. Indem Fendrich und Genossen unsere Ablehnung des Reichsbudgets ausschließlich auf die darin enthaltenen Ausgaben für den Militarismus zurückführen, imputieren sie uns schon dadurch eine Politik, die wohl für bürgerliche Parteien gelten kann, die aber von der Sozialdemokratie bis jetzt niemals akzeptiert worden ist. Tatsächlich verweigern wir dem Deutschen Reiche die Mittel des steuerzahlenden Volkes nicht bloß deshalb, weil es ein Militärstaat, sondern vor allem, weil es ein bür-

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