Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 520

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liche terroristische Bewegung, die den Terror als systematisches Mittel des politischen Kampfes predigte und betätigte, war geschichtlich aus dem Pessimismus, aus dem Unglauben an die Möglichkeit einer politischen Massenbewegung und einer wirklichen Volksrevolution in Rußland geboren. Der Terror als System, als eine naturgemäß nur von einzelnen Individuen aus der Mitte der Revolutionäre und gegen einzelne Individuen unter den Trägern des absolutistischen Regimes betätigte Kampfmethode, war in seinem Wesen als Gegensatz zum Massenkampf der Arbeiterklasse gedacht, ob sich die terroristischen Kämpfer dessen bewußt waren oder nicht, ob sie es zugeben oder sich darüber selbst hinwegtäuschen wollten.

Von diesem Standpunkte und aus diesem Grunde wurde auch die terroristische Taktik von der Sozialdemokratie seit jeher und namentlich in den letzten Jahren bekämpft, weil sie, so starke sittliche Befriedigung sie in jedem einzelnen Falle hervorrief, eher erschlaffend und paralysierend als aufrüttelnd auf die Arbeiterbewegung wirken mußte. Indem die wirksame Vergeltungsmethode der Terroristen unvermeidlich – besonders bei unklaren und schwankenden Elementen der revolutionären Bewegung vage Hoffnungen und Erwartungen auf den wundertätigen unsichtbaren Arm des terroristischen „Rächers“ wachrief, schwächte sie die erforderliche Einsicht in die absolute Notwendigkeit und einzig entscheidende Bedeutung der Volksbewegung, der proletarischen Massenrevolution.

Die Ereignisse des 22. Januars[1] und der folgenden Wochen haben die Situation gründlich verändert. Das Proletariat ist bereits auf dem Kampfplatz erschienen, die Riesenmacht der Volksrevolution hat sich bereits vor der ganzen Welt offenbart, und ihre Bedeutung kann kein terroristischer Erfolg mehr erschüttern. Freilich werden sich vielleicht auch diesmal politische Wetterfahnen finden, die wieder ihre ganze Begeisterung und ihre Hoffnungen der lauten, vernehmlichen und knappen Sprache der Bomben zuwenden und sich vielleicht einbilden werden, daß die Massenaktion im Zarenreich bereits ihre Rolle genügend gespielt habe, die Realisierung und Liquidation der revolutionären Periode aber dem terroristischen Zweikampf mit den Uberresten des zerrütteten absolutistischen Regimes zukomme. Im großen und ganzen darf jedoch gehofft werden, daß so verkehrte Ansichten nur vereinzelt bleiben und die Sozialdemokratie sowohl in Rußland wie im Auslande von den Lehren der letzten Januarwoche nicht bloß vorübergehend, sondern dauernd zu profitieren verstehen wird.

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[1] Siehe S. 479, Fußnote 1.