Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 521

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Und diese Lehren gehen vor allem dahin, daß in Rußland nur die Volksrevolution und sie allein berufen ist, den Sturz des Zarismus zu vollziehen und die bürgerliche Freiheit zu realisieren. Daran können heute noch so erfolgreiche Attentate weniger als je etwas ändern. Damit ist freilich nicht gesagt, daß einzelne terroristische Akte nunmehr bedeutungslos oder nutzlos wären. Nicht darauf kommt es an, den Terror in den Himmel zu heben oder ihn zu verdammen, sondern seine richtige Rolle und ganz bestimmte Funktion in der gegenwärtigen Situation zu begreifen. Der Terror ist und kann heute, nach der bereits begonnenen Volksrevolution, nichts anderes als eine untergeordnete Episode des Kampfes sein. Und zwar dies in doppelter Hinsicht: sowohl räumlich als ein einzelner, wenn auch glänzend aufblitzender Schwertstreich auf dem großen Schlachtfelde des proletarischen Massenkampfes wie auch zeitlich als eine Erscheinung, die naturgemäß nur an eine bestimmte Phase der Revolution gebunden ist. Die terroristischen Akte haben nur so lange politischen Sinn und werden nur so lange sympathisches Echo in breiten Gesellschaftskreisen finden, bis der Absolutismus entschieden auf den Weg der Konzessionen getreten ist. Als Antwort auf brutale Versuche, mit Blut und Eisen die Revolution zu ersticken, wirken die terroristischen Anschläge auf die Gemüter befreiend. In dem Maße jedoch, wie der Absolutismus die Ohnmacht der Knute einsehen und in die Bahn, sei es auch schwächlicher und schwankender konstitutioneller Konzessionen einlenken wird, wird der Terror von selbst unvermeidlich an Boden und günstiger Atmosphäre verlieren. Seine Rolle wird bei Beginn dieser über kurz oder lang eintretenden zweiten Phase der Revolution ausgespielt sein. Die Revolution aber als Massenbewegung, als proletarische Erhebung wird damit durchaus noch nicht zu Ende sein. Im Gegenteil, erst dann beginnt der immer ausschließlicher proletarische Kampf, um die Liquidation des Absolutismus immer weiterzutreiben, um den Anteil der Arbeiterklasse an den politischen Freiheiten möglichst zu erweitern, um gegen den unvermeidlichen reaktionären Umschlag und Rückschlag der bürgerlich-demokratischen und liberalen Elemente nach dem ersten Sieg der freiheitlichen Bewegung zu reagieren. Kurz, die proletarische Revolution in Rußland hat vor sich noch alle Kämpfe und alle Phasen einer Klassenerhebung, bis sie den geschichtlichen Moment zu dem äußersten Punkt in der Richtung der eigenen Klasseninteressen vorwärts geschoben hat. Auf dem Fond und im Rahmen dieser großen Volksrevolution sind einzelne Akte des Terrors das, was einzelne auftischende Feuergarben im gewaltigen Flammenmeer eines Waldbrandes sind. Die rächende Hand des Terroristen kann die Desorganisation und Demoralisation des

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