Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 463

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von Marx geschriebene und von Engels schon 1885 in Aussicht gestellte Werk früher herauszugeben. Daß aber dieses Werk, das fast ein halbes Jahrhundert verborgen lag, heute noch nicht im geringsten veraltet, überholt, überflüssig gemacht worden ist, daß es wie glänzendes Gold frischester Prägung direkt in die geistige Zirkulation des heutigen Tages geworfen werden kann – das ist durchaus kein zufälliger Umstand. Das Werk ist ein historisches – eine Geschichte der bürgerlichen Nationalökonomie, aber gerade deshalb ist es nicht veraltet; denn die bürgerliche Nationalökonomie hatte wohl einst eine Geschichte, nämlich die, die Marx eben kritisch seziert, seitdem jedoch hat sie keine mehr. Ihre Geschichte wie ihr Lebensfaden sind bald nach den Klassikern, mit dem Entstehen der Marxschen Lehre, abgelaufen. Seitdem haben wir nur ein Fortvegetieren, ein Drehen im Kreise der Vulgärökonomie, die lebendige, pulsierende Ader der ökonomischen Forschung ist in den Strom der proletarisch-sozialistischen Gedankenwelt abgeleitet, und aus dieser revolutionären Gedankenwelt taucht jetzt auch das erste – und einzige – Geschichtswerk über das Glück und Ende der bürgerlichen Nationalökonomie auf.

Äußerlich freilich ist das neue Werk von Marx nichts weniger als eine fertige, ausgearbeitete Geschichte, vielmehr nur ein Brouillon, ein erster Entwurf einer Arbeit, deren Fertigstellung einer späteren Zeit vorbehalten blieb. Man braucht sich nur die an jedem Kapitel unten angebrachten Vermerke über die korrespondierenden Manuskriptseiten anzusehen, um sich einen Begriff von der Riesenarbeit zu bilden, die die Fertigstellung dieses Manuskripts erforderte. Es galt, in einem enormen, fortlaufenden Text ohne alle äußere Einteilungen, dafür mit unzähligen Wiederholun­gen und Abschweifungen, mit einem gänzlich durcheinandergewürfelten Stoff, wie er eben im Prozeß der Selbstverständigung, der ersten Untersuchung des Gebietes entsteht, einen Plan, eine logische und historische Entwicklung herauszufinden und zur äußeren Gestaltung zu bringen, dabei jedoch dem Cäsar zu lassen, was des Cäsars ist, und durch keine eigenen Zusätze die Lücken auszufüllen oder Brücken zu bauen. Kautsky hat für sich den schwierigsten und undankbarsten Teil der Herausgeberrechte und -pflichten gewählt, indem er sich darauf beschränkt hat, sich so in den Gedankeninhalt des verwickelten und verworrenen Marxschen Manuskripts hineinzuarbeiten, um es gleichsam nur mit unsichtbarer Hand zu einem inneren Ganzen zu ordnen und, trotzdem er mit dem Stoffe außerordentlich frei schaltete und waltete, dem Publikum schließlich doch nichts anderes als Marx selbst und nur Marx zu bieten.

Und diese Aufgabe ist ihm allerdings vollständig gelungen. Das Buch

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