Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 25

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Der Opportunist Gambetta mit seinen gemäßigten Republikanern forderte 1879 die Verjagung aller Monarchisten vom Staatsdienst und jagte mit dieser Forderung Mac-Mahon vom Präsidentenstuhl weg, 1880 setzten dieselben „honetten“ Republikaner die Ausweisung der Jesuiten, den unentgeltlichen Unterricht und den Schulzwang durch. Der Opportunist Jules Ferry vertrieb 1883 durch seine Gerichtsreform sechshundert monarchistische Richter von ihrem Amte und versetzte den Pfaffen durch das Ehescheidungsgesetz einen harten Schlag. Die Opportunisten Constans und Tirard reduzierten, um dem Boulangismus den Boden zu entziehen, die militärische Dienstzeit von fünf auf drei Jahre.

Und damit das radikale Ministerium Waldeck-Rousseau hinter allen diesen allerbescheidensten republikanischen Maßnahmen der Opportunisten zurückbleibt, damit es nach einer Reihe von Scheinmanövern im Laufe von neunzehn Monaten nichts, aber auch gar nichts unternimmt, nicht die geringste Reorganisation der Militärjustiz, nicht die allermindeste Herabsetzung der Dienstzeit, nicht einen einzigen entschiedenen Schritt gegen die Monarchisten in der Armee, der Justiz und der Verwaltung, nicht eine durchgreifende Maßnahme gegen die Klerisei, damit es – immer in der Pose der Unerschrockenheit, Unbeugsamkeit und Unentwegtheit, der klassischen Pose des Kleinbürgers auf der Höhe seiner politischen Schmach – schließlich nach langem Drum und Dran erklärt, die Republik sei nicht imstande, mit der militärischen Gaunerbande fertig zu werden, und es sei notwendig, diese einfach laufen zu lassen – dazu war die Mitarbeit eines Sozialisten im Ministerium erforderlich?!

Es ist behauptet worden, Millerand sei persönlich zur Bildung des Kabinetts Waldeck-Rousseau unentbehrlich gewesen, weil sonst das Zustandekommen des Ministeriums überhaupt in Frage gestellt war. Soviel man weiß, leidet Frankreich nicht Mangel an portefeuillelustigen Männern, und hat Waldeck-Rousseau in der rebellischen Armee zwei brauchbare Generale für das Kriegsministerium gefunden, so stand ihm in seiner eigenen Partei sicher ein halbes Dutzend Handelsminister zur Verfügung. Nachdem man aber erst die Taten des Kabinetts kennengelernt hat, muß man jedenfalls sagen: Waldeck-Rousseau konnte ruhig einen jeden beliebigen Radikalen zum Mitarbeiter nehmen – diese Spottgeburt der Verteidigungsaktion wäre sicher darum nicht um ein Haar schlimmer geraten. Die Radikalen haben es bis jetzt stets verstanden, ganz allein, ohne fremde Hilfe, sich gründlich zu kompromittieren.

Wir haben gesehen, die monarchistische Gefahr, die man im Laufe der Dreyfus-Krise wahrzunehmen glaubte, war mehr Phantom als Wirklich-

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