Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 9

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seines Eintritts ins Ministerium in Aussicht gestellt, noch auch ihre Zustimmung zum Eintritt erhalten. Im Gegenteil, nach seiner Darstellung konnte die Fraktion nicht im geringsten annehmen, daß es sich um eine aktuelle Angelegenheit von positiver Bedeutung handelt, und die ganze Art und Weise, wie Vaillant und andere auch diese vagen Andeutungen Millerands aufgenommen haben, konnten ihm gar keinen Zweifel lassen, daß er nur gegen den Wunsch der Vertreter der alten Parteiorganisationen in die Regierung eintreten konnte.

Diese ganze Darlegung konnte Vollmar übrigens, wenn er mit der Gewissenhaftigkeit in der Sammlung von Informationen, die er Kautsky so warm empfiehlt, selbst den Anfang gemacht hätte, bereits seit Monaten gedruckt und bis jetzt unseres Wissens nirgends angezweifelt oder bestritten im „Jahrbuch der Sozialistisch-revolutionären Partei“ für das Jahr 1899/1900, Paris, 45 Rue de Terre-Neuve, S. 39-53, finden, was ihm sowohl die Mühe der Verbreitung falscher Nachrichten als der Belehrungen darüber an andere gespart hätte.

Nicht mehr auf Grund von diskreten Informationen, dafür aber mit Hilfe eigener scharfer Beobachtungen und feiner Konstruktionen rektifiziert Vollmar die Kautskyschen Aufstellungen über den Sinn seiner vom Internationalen Kongreß angenommenen Resolution. Die große Mehrheit des Pariser Kongresses habe sich nämlich durch das Votum dieser Resolution nicht, wie Kautsky wähnt, gegen Millerand, sondern vielmehr für Millerand erklärt. Hier folgt zum Beleg eine Reihe höchst kunstvoller Zusammen- und Entgegenstellungen einzelner Äußerungen verschiedener Parteiführer in Worten und Gebärden, inner- und außerhalb des Kongresses.

Freilich erklärte sich z. B. der Belgier Vandervelde, der die Kautskysche Resolution als Berichterstatter vertrat, rundweg gegen die Ministerschaft Millerands. Aber Vollmar als tiefer Menschenkenner weiß, daß Vanderveldes Worte in diesem Falle nicht ganz ernst gemeint sein konnten, denn er war ja eben Berichterstatter, und als solcher mußte er beiden Seiten Gefälligkeiten sagen. Daß Vandervelde bereits vor einem Jahre (in der „Petite République“ vom 21. September 1899) dieselbe Meinung von Millerands Fall ausgesprochen hat, ist Vollmar aus dem Gedächtnis entschwunden, es ist also selbstverständlich, daß er davon auch dem Leser nichts mitzuteilen weiß. Allein, wäre auch Vandervelde wirklich gegen Millerand gewesen, so hat ja nach Vandervelde Anseele gesprochen, der sich „rückhaltlos“ für den Minister aussprach. Und da ein Belgier für Millerand und einer gegen gesprochen hat, so ist es klar, daß die Mehrheit der Belgier – für Millerand war.

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