Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 8

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-2/seite/8

keiner Weise teilnehmen könne. Millerand machte nach diesen Worten ein Zeichen des Einverständnisses, und wir begaben uns darauf in der Mehrzahl in das Plenum der Kammer. Keiner von uns dachte damals, daß man an den Worten Millerands, wonach die ministeriellen Verhandlungen eine ‚Geschichte aus der Vergangenheit‘ waren, zweifeln sollte.

Ich war demnach am anderen Tage sehr erstaunt, als mir ein Freund, der sich für gut unterrichtet hielt, erzählte, daß das Kabinett Waldeck-Rousseau gebildet sei und Millerand nebst Galliffet enthalte. Ich lehnte es ab, daran zu glauben, und schickte sofort an Millerand einen Rohrpostbrief, in dem ich ihn bat, unverzüglich das Gerücht zu dementieren, das ich für eine Verleumdung hielt, und in dem ich hinzufügte, daß, wäre es wahr, dadurch die von mir in der Fraktionssitzung gesprochenen Worte ihre Gültigkeit verlören. Ich verstand darunter, daß angesichts der Anwesenheit Galliffets im Ministerium es uns nicht mehr genügen würde, zu erklären, Millerand könne durch seinen Eintritt in die Regierung die Partei weder vertreten noch verpflichten, sondern daß wir obendrein mit aller Macht gegen einen Akt protestieren müßten, durch den sich ein Sozialist zum Kollegen des Kommuneschlächters machte.

Als ich deshalb am nächsten Tage zugleich die Zeitungen mit der Nachricht von der Bildung des Kabinetts Waldeck–Millerand-Galliffet und eine Rohrpostkarte von Millerand erhielt, worin er mir schrieb, daß er meinen Brief bekam, als er aus der ersten Sitzung des Ministerrats ging, daß die Sache gemacht sei, daß er seine Pflicht getan zu haben glaube und daß die Zukunft entscheiden würde, da eilte ich zu den Abgeordneten meiner Partei (PSR) und den befreundeten Abgeordneten, und am gleichen Abend brachten die Zeitungen unseren Protest, dem wir noch dadurch positive Sanktion gaben, daß wir uns von der sozialistischen Kammerfraktion trennten und eine sozialistisch-revolutionäre Gruppe bildeten ...

Bei nochmaligem Durchlesen Ihres Briefes sehe ich, daß unsere intimen Feinde auf die Erzählung eines Abgeordneten hin mich und Sembat beschuldigen, eine in der Fraktion in der Sache Millerand vorgeschlagene Resolution abgelehnt zu haben. (Siehe den Artikel Vollmars. – R. L.) Das, was ich Ihnen oben schreibe, genügt, um diese Erzählung zu dementieren, die ich schon einmal gehört habe, die aber deshalb nicht minder falsch ist. Sie ist entweder ein Irrtum oder eine Unwahrheit (une contrevérité).“

Die Sache ist also vollkommen klar. Weder hat Millerand eine Sitzung der sozialistischen Kammerfraktion einberufen noch ihr die Möglichkeit

Nächste Seite »