Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 10

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Vollmar braucht aber nicht einmal einen einzigen Delegierten zu hören, um über das Urteil der Delegation im klaren zu sein. So haben sich z. B. die Engländer zu der Frage Millerand gar nicht geäußert, aber Vollmar weiß, daß auch sie wahrscheinlich für und nicht wider Millerand waren. Denn sonst hätten sie ja nicht dem Jaurès mehr Beifall geklatscht als Guesde und Vaillant, und das hat Vollmar in all dem Trubel des Pariser Kongresses sehr wohl gesehen. Was sich ein vorsichtiger Mann nicht alles merkt!

Was die deutsche Delegation betrifft, so besteht für Vollmar „gar kein Zweifel“, daß sie in ihrer „erdrückenden Mehrheit“ die Begeisterung Vollmars für Millerand teilte. Und wenn Vollmar nicht zweifelt, so braucht der Leser erst recht nicht zu zweifeln. Damit ist die Sache erledigt.

Daß aber diese Zustimmung der deutschen Delegation zum Eintritt Millerands in das Ministerium auch der Parteimeinung entspricht, beweisen nach Vollmar „die vielen zustimmenden Artikel“ der Parteipresse, die „einzelne Handlungen Millerands“ besprechen, sich also mit der Frage seines Eintritts gar nicht befassen.

Auch die Italiener sind der zwingenden Beweisführung Vollmars nicht entgangen. Denn Costa hat ja Ferri gegenüber festgestellt, daß die Mehrheit der italienischen Delegierten für die Kautskysche Resolution war. Und da die Italiener für die Resolution Kautsky stimmten, kann es dann noch jemand bezweifeln, daß sie sie nicht im Sinne Kautskys, sondern im Sinne Vollmars verstanden?

Ja sogar den grimmigsten Gegner Millerands, Ferri, weiß Vollmar in einen Freund zu verwandeln. Um den Sinn der Abstimmung auf dem Pariser Kongreß festzustellen, entdeckt Vollmar nämlich, daß Ferri zwei Monate später sich „die Sache doch noch mal überlegte“ und in Mantua von der sozialistischen Ministerschaft zustimmend gesprochen habe.[1] Und

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[1] Wir sind gezwungen, auch diese Vollmarsche Behauptung tatsächlichen Charakters richtigzustellen. In einer Zuschrift vom 12. Dezember v. J., die Kautsky uns übermittelt, schreibt Enrico Ferri:

„Ich bin nach wie vor gegen. In Mantua habe ich nur gesagt, daß, wenn das neue Königtum wirklich die Bahn der Reformes betreten will (wie dies unsere Politiker wiederholen nach dem Königsattentat und nachdem ihnen die Obstruktionskampagne die Ohnmacht der reaktionären Gesetze bewiesen hat), man Männer nehmen müßte, die die Reformen zu machen fähig wären, und nicht alte Reaktionäre (vom Typus Sonninos), die heute bloß von Reformen reden, um in die Regierung hineinzukommen.

Und da die äußerste Linke aus Sozialisten, Republikanern und Radikalen besteht, so sagte ich, daß man die Radikalen in die Regierung rufen möge (deren Leader, der Abgeordnete Sacili, offen den Monarchismus akzeptiert hat). Ich habe im Gegenteil stets gesagt, daß die Teilnahme von Sozialisten oder Republikaners an dem Ministerium in der italienischen Monarchie eine Unmöglichkeit oder eine Absurdität wäre. Ich habe das wiederholt kürzlich in einer Kammerrede (am 3. Dezember) gegenüber dem Programm des neuen Königtums. Ich habe also meine Ansichten in nichts seit Paris geändert.“