Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 11

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-2/seite/11

so verwandelt sich die Annahme der Kautskyschen Resolution auf dem Pariser Kongreß in eine eklatante internationale Kundgebung zugunsten Millerands.

Leider folgt aus dieser ganzen fein durchdachten Beweisführung nur, daß wir in Deutschland auch insofern zur Übernahme eines Portefeuilles reif sind, als es uns sogar an advokatorischen Talenten nicht gebricht. Nach einfachem Menschenverstand aber genügt die folgende Tatsache, um die wirkliche Meinung der Mehrheit des Internationalen Kongresses zu Paris zu ermitteln.

Die Resolution Kautsky besagt:

„Aber auf jeden Fall kann dieses gefährliche Experiment (der Eintritt eines Sozialisten ins Ministerium – R. L.) nur dann von Vorteil sein, wenn es von einer geschlossenen Parteiorganisation gebilligt wird und der sozialistische Minister der Mandatar seiner Partei ist und bleibt. Wo der sozialistische Minister unabhängig von seiner Partei wird, wo er aufhört, der Mandatar seiner Partei zu sein, da wird sein Eintritt in das Ministerium aus einem Mittel, das Proletariat zu stärken, ein Mittel, es zu schwächen, aus einem Mittel, die Eroberung der politischen Macht zu fördern, ein Mittel, um sie zu verzögern.“[1]

Daß Millerand nicht als Mandatar der französischen Sozialistenpartei den Ministerposten übernahm, folgt nicht nur aus der Nichtexistenz einer solchen geeinigten Partei in Frankreich, sondern auch aus dem Umstand, daß er weder von den Einzelorganisationen noch von der Kammerfraktion ermächtigt wurde. Von den interessanten Geheimnissen der „allerbest unterrichteten Seite“, die Vollmar nachher in Paris anvertraut wurden, hatte jedenfalls der Internationale Kongreß keine Ahnung. Im Gegenteil, die gesamte Sozialdemokratie ausnahmslos war und ist der Meinung, daß Millerands Eintritt in die Regierung eine vollkommen eigenmächtige, individuelle Handlung war. Und sogar der Verteidiger Millerands, Jaurès, bestätigt diese Auffassung, indem er gerade den eigenmächtigen Schritt Millerands wiederholt als ein Argument für die Notwendigkeit der sozialistischen Einigung anführte.

Die Majorität des Kongresses also, die die Resolution Kautsky angenommen hat, hat dadurch, wenn auch ohne die Nennung Millerands, erklärt, daß sie seine Ministerschaft als ein Mittel, das französische Proletariat zu schwächen und die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse in Frankreich zu verzögern, betrachtet. Und diese Tatsache läßt sich nicht drehen noch wenden.

Nächste Seite »



[1] Internationaler Sozialisten-Kongreß zu Paris. 23. bis 27. September 1900, Berlin 1900, S. 17.