Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 64

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des Kleingewerbes über den Großbetrieb entgegen. Den Inhalt der heutigen sozialen Entwicklung bildet, analog zu den Kämpfen des Bürgertums mit dem Feudalismus, nicht der Gegensatz zwischen Kleinbürgertum und Bourgeoisie, sondern zwischen Proletariat und Bourgeoisie.

Die Zwischenstellung des Kleinbürgertums bedingt freilich auch die zeitweise Gemeinsamkeit des Kampfes zwischen ihm und der Arbeiterklasse. In der gegenwärtigen Periode ist aber das Proletariat berufen, das dominierende, leitende Element, das Kleinbürgertum das beiläufige Anhängsel zu bilden und nicht umgekehrt. Das heißt, die sozialistische Partei hat die Aufgabe, auch dort, wo ihre Wege eine Strecke lang mit den Wegen der bürgerlichen Demokratie zusammenlaufen, nicht den eigenen Kampf auf das mit dem Kleinbürgertum gemeinsame Terrain zu beschränken, sondern umgekehrt die Bestrebungen der kleinbürgerlichen Parteien systematisch zu überholen und auf die Spitze zu treiben.

Schon in demselben Kommunistischen Manifest, auf das sich Jaurès stützt, wird der Arbeiterklasse nicht etwa politische Verschmelzung mit den revolutionären Parteien des Bürgertums angeraten. Ganz umgekehrt. Das Manifest stellt als Grundsatz die Unterstützung der revolutionären Bourgeoisie durch die Kommunistenpartei auf, fügt jedoch sofort hinzu: „Sie unterläßt aber keinen Augenblick, bei den Arbeitern ein möglichst klares Bewußtsein über den feindlichen Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat herauszuarbeiten.“ (S. 32.)

Will aber Jaurès seine Taktik direkt an der Hand der Marxschen Lehre prüfen, so muß er vor allem die Anweisung berücksichtigen, die Marx dem Proletariat nach der Revolution von 1848, also nach der Hauptschlacht der Bourgeoisie gegen den Feudalismus, gegeben hat und die, zwar vorerst auf die erwartete Fortsetzung der Revolution berechnet, seitdem zur Richtschnur des Verhaltens der Sozialdemokratie auch in Friedenszeiten geworden ist. In der ersten Ansprache der Zentralbehörde an den Kommunistenbund vom Jahre 1850 wird den Arbeitern von Marx empfohlen:

„Sie müssen die Vorschläge der Demokraten, die jedenfalls nicht revolutionär, sondern bloß reformierend auftreten werden, auf die Spitze treiben und sie in direkte Angriffe auf das Privateigentum verwandeln… Die Forderungen der Arbeiter“, sagt er zum Schluß nach einer Reihe von konkreten Beispielen, „werden sich also überall nach den Konzessionen und Maßregeln der Demokraten richten müssen“, und zwar in dem Sinne, daß die Arbeiter unbedingt in allem weiter gehen als die Kleinbürger.[1] [Hervorhebungen – R. L.]

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[1] Enthüllungen über den Kommunistenprozeß in Köln, 1885, S. 83. [Karl Marx, Friedrich Engels: Ansprache der Zentralbehörde an den Bund vom März 1850. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 7. S. 253.] [Fußnote im Original]