Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 63

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Voraussetzung des sozialistischen Sieges ist, die Selbstverwaltung ist das Element der Zukunft, an das die sozialistische Umwälzung in positiver Weise anknüpfen wird.

Freilich verstehen die bürgerlichen Parteien auch in die wirtschaftlichen und kulturellen Funktionen der Gemeinde ihren Klasseninhalt zu gießen. Allein die Sozialisten kommen hier nie in die Lage, der eigenen Politik untreu werden zu müssen. Solange sie in den Gemeindevertretungen in der Minderheit sind, machen sie genau in derselben Weise die Opposition zur Richtschnur ihres Verhaltens wie im Parlament. Werden sie aber zur Mehrheit, dann verwandeln sie die Gemeinde selbst in ein Kampfmittel gegen die bürgerliche Zentralgewalt.

Für seine Allianz mit dem bürgerlichen Republikanismus führt Jaurès einen Ausspruch von Marx ins Feld, worin den Sozialisten die Vereinigung mit der Bourgeoisie gegen die Reaktion empfohlen wird.[1] Er hat offenbar die Schlußsätze aus dem Kommunistischen Manifest im Auge, wo es heißt: „In Deutschland kämpft die Kommunistische Partei, sobald die Bourgeoisie revolutionär auftritt, gemeinsam mit der Bourgeoisie gegen die absolute Monarchie, das feudale Grundeigentum und die Kleinbürgerei ... Mit einem Wort, die Kommunisten unterstützen überall jede revolutionäre Bewegung gegen die bestehenden gesellschaftlichen und politischen Zustände.“ (S. 32.)[2] Dem angeführten Ausspruch liegt aber ein ganz bestimmter historischer Inhalt zugrunde.

Es ist nämlich der Kampf aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, der die Einsetzung der bürgerlichen Klassenherrschaft an Stelle der feudalen zum Zwecke hatte, worauf der Hinweis des Kommunistischen Manifests abzielt. Hier galt die Unterstützung des Proletariats einer aufstrebenden Klasse, deren politischer Sieg über die Reaktion eine wirtschaftliche Notwendigkeit war. Heute liegen die Verhältnisse grundverschieden. Die Bourgeoisie hat überall das Ziel ihrer Bestrebungen erreicht, und wir sehen sie heute nicht mehr gegen die Reaktion kämpfen, sondern vielmehr mit den Überresten des Feudalismus zur offiziellen Vertretung der Reaktion vereinigt.

Was heute bürgerliche Demokratie in den kapitalistischen Ländern heißt, ist fast ausschließlich das Kleinbürgertum. Die kleinbürgerliche Demokratie ist aber nicht die Äußerung einer aufsteigenden und zur Ablösung der Bourgeoisie strebenden Klasse. Wir gehen der politischen Herrschaft des Kleinbürgertums ebensowenig wie dem ökonomischen Siege

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[1] Siehe die Rede Jaurèsʼ in Lille. In: Les deux Méthodes, S. 4. [Fußnote im Original]

[2] Karl Marx, Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 4, S. 492 u. 493.