Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 617

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unserer Eigenschaft als Parteigenossen und als Vertreter schleswig-holsteinischer Wahlkreise im Reichstage Stellung, indem wir erklären, daß die von ihr ausgehende, oben skizzierte Propaganda nach unserer Überzeugung unvereinbar mit den Interessen der Partei und der Arbeiterbewegung ist.

Hamburg, den 23. November 1905

A. v. Elm K. Frohme F. Lesche“

Die obige Philippika richtet sich, wie aus einigen Zitaten hervorgeht, gegen den von der Genossin Luxemburg im zweiten Hamburger Wahlkreise am 14. dieses Monats gehaltenen Vortrag über den politischen Massenstreik. Es ist sehr merkwürdig, daß die drei Genossen, die sämtlich in Hamburg wohnhaft sind, es nicht mehr für angebracht hielten, in jener Versammlung zu erscheinen und die „verderbliche Revolutionsromantik“ da, wo sie sich ihren tödlichen Streichen aus nächster Nähe aussetzte, einmal energisch in den Sand zu strecken. Bei der öffentlichen Diskussion über die staatsgefährliche Auffassung des Massenstreiks im parteigenössischen Kreise zog die „realistische Denkweise“ vor, realistisch wie sie ist, sich nicht zum Wort zu melden, was im Bericht des „Hamburger Echo“ auch ausdrücklich hervorgehoben wurde.

Durch diese bedauerliche Zurückhaltung ist es auch den drei Gegnern der „Revolutionsromantik“ möglich geworden, in ihrem obigen Aufruf wie auch in der ganzen Diskussion über den Massenstreik mit seltsamer Ausdauer offene Türen einzurennen und gegen Windmühlen zu kämpfen. Es ist übrigens überhaupt für die Antimassenstreikler bezeichnend, daß sie, um die Idee des Massenstreiks zu bekämpfen, sich erst eine Vogelscheuche zurechtmachen, um dann an ihr die schönsten Triumphe des kritischen Geistes zu erleben. Die abgeschmacktesten Redensarten über die „Herabsetzung der Gewerkschaften“, die Ablehnung der parlamentarischen Arbeit und dergleichen Legenden werden dabei mit Liebe an die Idee des politischen Massenstreiks gekoppelt, um nachher den selbstgebrauten skurrilen Unsinn mit Genuß totzuschlagen.

Eines ist lediglich bei dieser harmlosen Beschäftigung, was Beachtung verdient: Es ist dies die Tendenz, aus dem unliebsamen Jenaer Beschluß über den Massenstreik, trotz des ganzen Geistes der Diskussion, die mit ihm verbunden war, jetzt hinterdrein jede revolutionäre Bedeutung hinwegzuinterpretieren, ihn zu einer Phrase mit so viel Wenn und Aber umzudeuten, daß er überhaupt aufhört, irgend etwas auszudrücken. Die redliche Mühe wird zwar unbelohnt bleiben, denn der schöne Lärm der russischen Revolution ist ein viel wirksamerer Kommentar zu dem Jenaer

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