Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 616

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tischen Massenstreiks – dessen Möglichkeit vorausgesetzt – zu beraten haben. Diese Deklarationen haben allgemeine Zustimmung, wenigstens nicht den geringsten Widerspruch erfahren.

Nichtsdestoweniger ist jetzt eine neue Richtung in der Partei mit geradezu fanatischem Eifer bemüht, jene Resolution – unter Hervorkehrung einer höchst bedenklichen, ja für die Partei geradezu verderblichen Revolutionsromantik, die jedes realistische Denken vermissen läßt und in direktem Gegensatz zu der durch Karl Marx wissenschaftlich begründeten materialistischen Geschichtsauffassung steht – dahin zu deuten, als sei die Partei auf den politischen Massenstreik bereits derart festgelegt, daß man sich auf ihn allen Ernstes heute oder morgen schon einzurichten habe, und jeden, der ihre Revolutionsromantik nicht mitmacht, als ‚Flaumacker‘, als Revisionist, als ‚Verhöhner des revolutionären Geistes‘ in der Partei, als ‚Auch-Sozialist‘ verdächtigt und ihn dadurch in der Wirksamkeit seiner Tätigkeit in der Arbeiterbewegung lahmzulegen sucht. Die Art und Weise dieser Propaganda unterscheidet sich von der sogenannten ‚anarchosozialistischen‘ durchaus nicht; sie hat nichts gemein mit den Voraussetzungen, die zur Annahme der Bebelschen Resolution auf dem Jenaer Parteitage geführt haben; sie wirkt zum größten Schaden der Partei verwirrend und hat zur Folge eine verhängnisvolle Unterschätzung derjenigen agitatorischen und organisatorischen Leistungen, von denen allein ein gesunder Fortschritt der Arbeiterbewegung zu erwarten ist. Jeder unserer Parteitage hat die Notwendigkeit und Bedeutung der gewerkschaftlichen Organisation als wesentlichen Faktor des Emanzipationskampfes der Arbeiterklasse anerkannt, und insbesondere der Jenaer Parteitag hat es jedem Parteigenossen zur Pflicht gemacht, die Ziele und Zwecke der Gewerkschaften zu unterstützen. Trotzdem gilt den Vertretern der neuen Richtung alle gewerkschaftliche Arbeit nur als ‚Sisyphusarbeit‘; sie behaupten, die Gewerkschaften seien ‚ohnmächtig‘ und was dergleichen direkt gegen die Interessen der gewerkschaftlichen Organisation und Bewegung gehende Redensarten mehr sind. Auch in der Bewertung der parlamentarischen Tätigkeit dokumentiert diese Richtung dieselbe gegensätzliche Stellung gegen die Beschlüsse der Parteitage der Gesamtpartei, Provinzial- und Landeskonferenzen. Man schreibt und spricht von der ‚öden Tretmühle des Parlamentarismus‘, von den ‚kleinen Gesichtspunkten des täglichen Ringens, des parlamentarischen Sumpfes‘, erklärt, ‚daß alle unsere auf den Parlamentarismus gestützten Berechnungen auf Sand gebaut sind‘, usw.

Gegen diese Richtung, die zu unserem besonderen Bedauern auch in der Provinz Schleswig-Holstein propagiert wird, nehmen wir hiermit in

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