Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 61

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berechnet sind. Was hierin die erste Rolle spielt, ist – die Handelspolitik.

Wollte Millerand auf diesem Gebiet den sozialistischen Minimalforderungen gemäß handeln, so mußte er offenbar das von Méline 1892 errichtete System des autonomen, auf Minimal- und Maximaltarif basierten Hochschutzzolles zu unterminieren suchen und vor allem die Abschaffung der Lebensmittelzölle einführen. Was tut er aber in Wirklichkeit? Darauf gibt Antwort der Millerandsche Vertrag mit der nordamerikanischen Union vom Jahre 1899. Kaum versuchte der portefeuillelustige Méline dieses Abkommen als einen Verrat an den wohlerworbenen Rechten der agrarischen Schutzzöllner zu denunzieren, als die sozialistischen Freunde Millerands in der Lage waren, dies als schnöde Verleumdung zurückzuweisen. Mit Stolz konnten sie konstatieren: „... daß in dem Handelsabkommen die landwirtschaftlichen Produkte von dem Begünstigungstarif ausgeschlossen seien, … daß der Handelsvertrag sich nicht auf Lebensmittel erstrecke, deren Einfuhr durch ein spezielles Gesetz geregelt sei, ... daß es die Interessen der Viehzüchter mehr und besser schütze, als es in dem Mélineschen Entwurf der Fall sei, indem die amerikanischen Häute und Leder von dem Minimaltarif ausgenommen seien.“[1]

Damit war glücklich dargetan, daß Millerand als Handelsminister den „père famine“ Méline mit vollem Erfolg ersetzt, und zugleich bewiesen, daß ein Sozialist in der bürgerlichen Regierung nur insofern funktionieren kann, als er seine Fähigkeit zur Besorgung der bürgerlichen und zur Verleugnung der sozialistischen Politik demonstriert.

Die handelspolitische Tätigkeit Millerands wirft auf die ganze Frage der sozialistischen Ministerschaft ein neues Schlaglicht. Nicht bloß ist der Sozialist als Mitglied einer heutigen Regierung gezwungen, solange die Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft, das Privateigentum und die Klassenherrschaft, bestehen, bürgerliche Politik zu treiben. Auf dem Boden der heutigen Gesellschaft kann es ja überhaupt keine andere als bürgerliche Politik geben, und würde der Minister sogar alle Forderungen des sozialistischen Programms ausführen, die auf den gegenwärtigen Staat berechnet sind, auch dann hörte er nicht im mindesten auf, bürgerlicher Minister zu sein. Er würde dann höchstens mit seiner Tätigkeit den fortschrittlichen Tendenzen der bürgerlichen Entwicklung dienen. Aber nicht genug. Es stellt sich heraus, daß ein Minister in der heutigen Regierung nicht bloß an die bürgerliche Gesellschaftsordnung im allgemeinen, sondern an die jeweiligen herrschenden Gruppen- und Koterieninteressen gebunden, daß er

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[1] Fournière, Petit République vom 17. August 1899. [Fußnote im Original]