Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 607

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leitenden Geister in höchstem Maße beunruhigend. Kurz ausgedrückt, laufen sie nämlich auf die folgende Lehre hinaus: Jede Kritik an der gegebenen Taktik der leitenden Gewerkschaftsorgane ist verboten, der Zuwiderhandelnde wird auf ewige Zeiten als „Volksfeind“ gebrandmarkt. Nun weiß heute nachgerade jeder einigermaßen klassenbewußte Proletarier, daß die freie und offene Kritik, der lebhafte Meinungsaustausch, das rege geistige Leben geradezu die Existenzbedingung, die Lebensluft für die moderne Arbeiterbewegung ist, sowohl für ihren ökonomischen wie für ihren politischen Teil. Es ist ja gerade der Stolz und die Kulturmission der Sozialdemokratie, diesen Geist der unumschränkten Kritik zum Regulativ und die ständige Entwicklung der Kampfweise zur Grundlage des modernen proletarischen Klassenkampfes gemacht zu haben. Das umgekehrte Verfahren, die Verpönung jeder Kritik an der Handlungsweise der „löblichen Behörden“ und der „Vorgesetzten“, ist der Grundsatz nicht bloß des Scharfmachertums gegenüber den Arbeitern, sondern überhaupt der bürgerlichen Gesellschaft in ihrem Verfall, ein sicheres Symptom der geistigen Dekadenz und der geistigen Barbarei!

Eine prachtvolle Blüte dieser gefährlichen Geistesrichtung enthält auch die obige Attacke der „Deutschen Bergarbeiter-Zeitung“ selbst, und wir wollen sie, ihrer symptomatischen Bedeutung wegen, näher betrachten. Die Genossin Luxemburg wird den Gewerkschaftskreisen als eine gefährliche „Hetzerin“ gegen die Gewerkschaften denunziert – auf Grund eines von ihr einmal gebrauchten Ausdruckes von der gewerkschaftlichen „Sisyphusarbeit“, was die „Deutsche Bergarbeiter-Zeitung“ ungeniert als „nutzlose Arbeit“ übersetzt. In welchem Sinne war aber dieser Ausdruck gebraucht? Genossin Luxemburg untersuchte in ihrer Broschüre „Sozialreform oder Revolution?“[1] in einer Polemik gegen Bernstein die Funktion der Gewerkschaften im Rahmen der kapitalistischen Wirtschaft und wies nach, daß die objektive herabdrückende Tendenz dieses Wirtschaftsmechanismus mit der Kraft eines Naturgesetzes das wirtschaftliche Aufstreben der Arbeiterklasse unaufhörlich durchkreuzt. Während der absolute Lohn durch die gewerkschaftliche Aktion gehoben wird, wird der relative Lohn, das heißt der Anteil des Arbeiters an dem gesellschaftlichen Reichtum, infolge der wachsenden Produktivität der Arbeit immer geringer. Im Anschluß daran heißt es: „In beiden wirtschaftlichen Hauptfunktionen verwandelt sich also der gewerkschaftliche Kampf kraft objektiver Vorgänge in der kapitalistischen Gesellschaft in eine Art Sisyphusarbeit. Diese Sisyphusarbeit ist allerdings unentbehrlich, soll der Arbeiter über-

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[1] Siehe Bd. 1/1, S. 367–466.