Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 608

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-2/seite/608

haupt zu der ihm nach der jeweiligen Marktlage zufallenden Lohnrate kommen [Hervorhebung – R. L.], soll das kapitalistische Lohngesetz verwirklicht und die herabdrückende Tendenz der wirtschaftlichen Entwicklung in ihrer Wirkung paralysiert oder, genauer, abgeschwächt werden.“[1] Gedenkt man aber, die Gewerkschaften in ein Mittel zur stufenweisen Verkürzung des Profits zugunsten des Arbeitslohnes, d. h. zur allmählichen Aufhebung des kapitalistischen Lohnverhältnisses, zu verwandeln, so sei dies eine Utopie im Sinne der bürgerlichen Vulgärökonomie.

Dies war der Sinn der „Sisyphusarbeit“. Mit anderen Worten: Genossin Luxemburg hat rein objektiv wissenschaftlich ausgeführt, daß die Gewerkschaften nicht imstande seien, den Kapitalismus abzuschaffen. Und diese elementare Feststellung, die die Grundlage geradezu der sozialdemokratischen wie der klassenbewußten gewerkschaftlichen Auffassung bildet, ist in den Augen der „Deutschen Bergarbeiter-Zeitung“ eine Majestätsbeleidigung gegen die Gewerkschaften!

Daraus kann nur zweierlei gefolgert werden:

Entweder ist der „Deutschen Bergarbeiter-Zeitung“ die elementarste Einsicht in das kapitalistische Lohngesetz und die Grundlagen des Lohnsystems unbekannt – das ist aber schwer anzunehmen, da der Redakteur des Bergarbeiterverbandes doch als Vertreter der Sozialdemokratie zu der Reichstagsfraktion zählt –, oder aber die „Deutsche Bergarbeiter-Zeitung“ hält für nötig, vor den kämpfenden organisierten Arbeitern die wirklichen, objektiven Grenzen des Gewerkschaftskampfes einfach zu verheimlichen, sie mit falschen Schmeicheleien in grundlosen Illusionen zu wiegen. Dann fragt sich aber, welcher Unterschied noch besteht zwischen dieser Taktik einer Gewerkschaftsleitung, die der Arbeiterschaft im Klassenkampfe vorangehen soll, und dem lobhudelnden Demagogentum bürgerlicher sozialreformerischer Professoren à la Sombart, die die Arbeiterschaft zu nasführen und vom Klassenkampfe abzubringen trachten?

In beiden Fällen wird es aber klar: Das ist die Geistesverfassung, aus der heraus jede Kritik als ein Verbrechen verpönt wird und die sich ihrerseits in der hermetischen Abschließung von jeder Kritik herausbildet!

Einer solchen gefährlichen Versimpelung der Gewerkschaftskreise wird die Redaktion des „Vorwärts“ allerdings nicht Vorschub leisten, und sie wird auch fernerhin nicht Lobhudelei, sondern Kritik als ihres Amtes betrachten, unbekümmert um die Hetze dieses oder jenes gekränkten Gewerkschaftsführers.

Nur noch eins möchten wir zum Schluß bemerken: Es ist geradezu

Nächste Seite »



[1] Siehe Bd. 1/1. S. 420.