Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 599

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Also dorthin, wo der Staatsanwalt neulich meinem engeren Parteigenossen Kasprzak zu der höchsten Ehre verholfen hat, die einem Sozialdemokraten erwiesen werden kann[1], dorthin ladet uns Genosse Hue in liebenswürdiger Weise ein. Ich glaube also, ich habe ein Recht zu hoffen, daß ich in den Gewerkschaften nicht nur zur Einsicht über die wahren Grundsätze und die praktische Taktik der Arbeiterbewegung kommen, sondern auch Belehrung über die echte Liebenswürdigkeit des parteigenössischen Tons erhalten werde.

In bezug auf die „Neue Zeit“ habe ich noch hinzuzufügen, daß Schmidt einer großen Enttäuschung entgegengeht, wenn er hofft, daß die „Neue Zeit“ sowenig wie möglich von den Arbeitern gelesen werde. Wie Sie wissen, hat schon einmal die schönste Hetze gegen die „Neue Zeit“ stattgefunden, und zwar 1902 in München. Welchen Einfluß hat das auf das Gedeihen der „Neuen Zeit“ gehabt? 1902 betrug die Zahl der Abonnenten im ersten Halbjahr 3700, im zweiten 3600, im Jahre 1905 im ersten Halbjahr 4800, im zweiten 5100. („Hört! Hört!“) Wir sehen also, daß die Attacken der Parteigenossen gegen die „Neue Zeit“ dieselbe Wirkung gehabt haben wie die Attacken der bürgerlichen Parteien gegen die Sozialdemokratie überhaupt: Wir werden gesund dabei und kriegen rote Backen. („Sehr gut!“) Für diejenigen, die die gewöhnliche Verbreitung der wissenschaftlichen Revuen nicht kennen, füge ich hinzu, daß die „Neue Zeit“ mit dieser Abonnentenziffer nicht nur nicht hinter den besten bürgerlichen Revuen zurücksteht, sondern ihnen sogar voranschreitet, daß dieser Abonnentenstand für eine wissenschaftliche Revue, die nicht für die Massen bestimmt ist, ausgezeichnet genannt werden muß.

Nun noch ein paar Worte zu der Hauptfrage, dem Gegensatz zwischen Gewerkschaften und Partei. Genosse Hüttmann meinte, er begreife gar nicht, woher die Angriffe auf die Gewerkschaftsführer kämen, er könne sich gar nicht denken, daß es Gewerkschaftler gäbe, die nicht mit beiden Füßen auf dem Boden des Klassenkampfes stehen. Facta loquuntur. Ich will Ihnen von einigen Flugblättern Kenntnis geben, die in der jüngsten Zeit, nämlich im Essener Wahlkampf, gegen die Sozialdemokratie vom Zentrum verbreitet worden sind, in denen eine ganze Reihe von Äußerungen der Gewerkschaftspresse gegen uns ausgeschlachtet werden. Diese Äußerungen beweisen, daß in der Tat manche Gewerkschaftler nicht mehr

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[1] Marcia Kasprzak, ein polnischer Revolutionär, hatte im April 1904 bei einem Überfall der Polizei auf die geheime Druckerei der SDKPiL (siehe S. 322. Fußnote 1) in Warschau bewaffneten Widerstand geleistet und war überwältigt worden. Nach über einem Jahr Kerkerhaft, am 30. August 1905, wurde er zum Tode verurteilt und am 7. September hingerichtet.