Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 598

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Schmidt unter Herunterreißen eine Kritik des bürgerlichen Parlamentarismus, wie sie uns durch unser Programm, durch unseren Klassenstandpunkt zur Pflicht gemacht wird. Wenn er das darunter versteht, wenn er glaubt, es sei unsere Pflicht, den bürgerlichen Parlamentarismus in den Himmel zu heben, so muß ich allerdings sagen, die „Neue Zeit“ kann das Lob Robert Schmidts nicht verdienen, und ich hoffe, sie wird auch fernerhin, solange Kautsky sie redigiert, Robert Schmidts Lob nicht verdienen. (Beifall.)[1]

Genosse Schmidt hat mir in seiner persönlichen Bemerkung zunächst den Vorwurf mangelnder Liebenswürdigkeit gemacht. Ich fühle mich sehr getroffen und zerknirscht; zum Glück weiß ich ein Mittel, um dem abzuhelfen und mich zur echten rechten Liebenswürdigkeit zu erziehen. (Heiterkeit.) Schmidt hat nämlich den Theoretikern den Rat gegeben, in die Gewerkschaften einzutreten. Ich glaube, daß das für mich in bezug auf meine Liebenswürdigkeit in der Tat gesund wäre. Davon hat mich ein Artikel des Genossen Hue, den er in der jüngsten Zeit in der „Deutschen Bergarbeiter-Zeitung“ hat erscheinen lassen, überzeugt. Es heißt am Schluß dieses Artikels, der als Muster liebenswürdigen Verkehrs mit Parteigenossen gelten kann:

„In Rußland tobt seit Jahr und Tag der Kampf um die Volksfreiheit. Wir wunderten uns schon immer, warum unsere theoretischen Generalstreikler nicht schleunigst nach Rußland gehen, um dort praktische Kampfeserfahrungen zu sammeln und mitzukämpfen. In Rußland blutet die Arbeiterschaft, weshalb eilen insbesondere die aus Rußland oder Polen stammenden, jetzt in Deutschland, Frankreich und der Schweiz ‚revolutionäre‘ Artikel schreibenden Theoretiker nicht auf den Kampfplatz? Wer ein solches Übermaß von ‚revolutionärer‘ Energie bietet wie unsere systematischen Generalstreikpropagandisten, für den ist es Zeit, sich im russischen Freiheitskampfe praktisch zu beteiligen, statt aus der Sommerfrische Generalstreiksdiskussion zu betreiben. Probieren geht übers Studieren, darum auf in den russischen Freiheitskampf, ihr ‚Theoretiker des Klassenkampfes‘.“

Und dann sagt der Pastor Naumann[2] in der „Hilfe“, die den Artikel mit Wonne zitiert: „Diese Worte sind gut! Die internationalen Revolutionäre sollen sagen, weshalb sie jetzt nicht international genug sind, sich nach Warschau zu begeben.“

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[1] Da die Redezeit abgelaufen war, konnte Rosa Luxemburg erst nach erneuter Wortmeldung ihre Ausführungen beenden.

[2] Siehe Bd. 1/1, S. 455, Fußnote 2.